DRUCKSACHEN

Wir schreiben hier in Vertretung, denn der etatmäßige „Drucksachen“-Leser Wolfgang Doebeling, seit 16 Jahren im Amt, macht mal Pause. Wolle verpaßt deshalb die Memoiren des ehemaligen „VIVA“-Mikrophonhalters Matthias Opdenhövel „DIE SCHNELLFICKER-SCHUHE“ – im Untertitel: „Erlebnisse eines VIVA-Moderators“ – ist die erwartete stupid-launige Bilanz eines Pioniers, der mit Ende 20 zum alten Eisen gehört.

Daß Opdenhövel, ein Laberkopf, nicht so gut schreiben kann und vom Deutschlehrer aufs Mündliche vertröstet wurde, erfahren wir schon im Vorwort. Die Bestätigung folgt in den mäßig amüsanten Anekdoten aus der Hölle der Videoverwurstung. Abgebrochene Studien-Versuche, Lokalzeitung, Lokalradio, dann Casting beim Kindermusikfernsehen – Opdenhövel ist (mit Brille und Ziegenbart ein Kasper, mit Brille und Dreitagebart Eric Clapton) immer artig ironisch auf der Überholspur. Will er die Fron im Klappentext noch „mit The Smiths als Hintergrundmusik“ bewältigt haben, gibt er im Innern des Bandes die peinliche Wahrheit preis: Seine Idole heißen (seit er 15 ist) Die Toten Hosen, Die Arzte, U2 und Smudo – eben die Pfeifen also, die er gratis vor der Kamera befragen durfte. Und das war dufte.

Bono lobte Opdenhövels Schuhe jovial als „italian fast-ruckers“, Campino versichert ihm in einer exklusiven Notiz: „Ich denke, wir haben unsere Vorurteile Dir gegenüber schnell abgebaut. Du bist uns immer ein gerngesehener Gast.“ Zum Mururoa-Atoll durfte Opdenhövel samt Heidemarie Wieczorek-Zeul segeln. „Oh ja, die sind gut“, sagt Bono über Die Toten Hosen zu seinem Kumpel Matthias. „Grüß mir mal den Campino.“ Echt.

Im Anhang reden „fünf VIVA-DJs Klartext“ („Die Aleks habe ich auch mal angegraben“), und noch weiter hinten gibt es im „Bussi-Guide“ den üblichen Klatsch über über Figuren wie Falco, Jenny Elvers, Westernhagen und die Backstreet Boys. Sehr gut allerdings folgende Information über die Handies der Kelly Family: „Eins steht während der Auftritte auf der Bühne, und der Alte lauscht dem bekannten Geklatsche von seiner luxuriösen Hotelsuite aus.“ (vgs, 24 Mark) 2,0

Pikanter noch sind die Erinnerungen eines anderen Musikarbeiters: Roger Trash nennt sich zu Recht so, und seine ebenso deprimierenden wie exemplarischen Berichte aus 20jähriger Erfolglosigkeit als Gitarrist sollten jedem Mucker den Mut nehmen. Roger selbst verliert ihn nie. „TRAUMJOB“ – Untertitel: „Bekenntnisse eines Rock’n’Rollers“ – ist eine durchaus nicht erschütternde, wenn auch ernüchternde Generalbeichte, in der Trash zwischen Kneipe und Pleite allerlei Döntjes ausbreitet.

Unter der schlagenden Überschrift „Wer zuviel fickt, stirbt allein“ bekennt der fahrende Sänger: „Ich finde, der Sex wird heute doch stark überbewertet. Guter Sex braucht viel Zeit, und die Zeit wird knapper, wenn die Jahre ins Land ziehen… Ausziehen, gedimmtes Licht oder eine warme Mahlzeit muß ich nicht mehr haben.“ Sexualphantasien mit Caroline Reiber geraten überraschungslos und unappetitlich, und das Verlieren als Lebenszweck taugt nicht immer zu komischen Pointen, obwohl die Beschimpfung von „Arschlöchern wie Uli Hoeneß, Guido Westerwelle und Johannes B. Kerner“ selbstverständlich korrekt ist. Manchmal wird es so betulich und satirisch-schnurrig wie bei, sagen wir, Ephraim Kishon oder Gabriel Laub – kein Kompliment.

Nein, Rogers Schülerzeitungshumor, das krause Weltbild des Zukurzgekommenen und Wortspiele wie „Die Waffeln der Frauen“ vermitteln einen eher armseligen Eindruck. Dennoch tapfer. (Bunyola Verlag, 19,80 Mark ) 1,5

Wer alles vom King braucht, der wird auch auf „ELVIS PRESLEY 1956“ -Photographien von Marvin Israel (Schirmer/Mosel, 39,80 Mark) nicht verzichten wollen. Marvin bekam damals den Auftrag, Presleys Tournee zu begleiten. Doch der Bilderfundus blieb bis vor kurzem geschlossen, ja die meisten Fotos waren noch nicht einmal entwickelt. Die Aufnahmen bestechen durch Authentizität und Unbefangenheit – der Blick auf Elvis war noch unschuldig, und unschuldig blickte Elvis zurück. Marvin Israel, der 1984 starb, müssen seine Anfange zu prosaisch vorgekommen sein – dabei dokumentieren die Bilder ganz beiläufig Elvis‘ Triumphzug vom Süden nach New York. 4,0 Nicht den Wissenschaftler und Musikjournalisten wird die neue Ausgabe des „Rock-Lexikons“ in zwei Bänden erfreuen, wohl aber den an hurtiger, knapper Information interessierten Laien. Nach dem Tod seines Kollegen Barry Graves hat Siegfried Schmidt-Joos die in Deutschland einzigartige Unternehmung mit Bernward Halbscheffel weitergeführt; so entstand „DAS NEUE ROCK-LEXIKON“ (rororo, je Band 24,90 Mark). Nicht neu ist die Manier, aus Zitaten der üblichen Zeitschriften, Informationen aus Büchern und Waschzetteln sowie – seltener – Songtexten die geführten Musikerkarrieren zu umreißen.

Die Methode bedingt freilich auch eine Wichtung, die zu Lasten der Objektivität gehen kann – zumal die Schlagworte aus dem „Q-Magazine“ oder dem amerikanischen ROLLING STONE oft genug fragwürdig, wo nicht unzutreffend sind. Viele Elogen, etwa auf die frühen Rod Stewart und Steve Miller, lassen sich heute nur mit Humor ertragen. Lustig wird es allerdings auch da, wo Distanz unmöglich ist: Über Till Lindemann von Rammstein wird schon im Imperfekt behauptet: „Keiner rollte das R so schön wie er.“ Und er rollt und rollt und rollt. Man erfährt auch sein Geburtsdatum und daß er mal Junioren-Vizeeuropameister im Schwimmen war. Wer weiß, wozu es gut ist.

Andererseits ist die Erbsenzählerei bewundernswert, ja aufopferungsvoll. Denn gerade die Basisinformationen, insbesondere Geburtsdaten, sind schwer zu bekommen und oft genug verfälscht oder ausgedacht. Wo die Mythenbildung schillert, ist das Enzyklopädische immer wieder ohne Chance. Und manchmal wird gleich die Legende als höhere Wahrheit gedruckt.

Gröbster Unfug, so scheint es nach einer ersten Durchsicht, wurde vermieden, die Sprache folgt lexikalischer Schmucklosigkeit, wenn auch mit Bildungsjargon. Bloß die Einschätzung der deutschen Ausgabe des ROLLING STONE im Sachwörterverzeichnis ist gar nicht sachlich: Dem „vom Start weg erfolgreichen“ Blatt wird ein „anvisiertes Publikum“ von „40- bis 60jährigen“ attestiert. Da wundert sich der diensthabende Redakteur (28), und es staunt die Chefredaktion (101). Der Herausgeber des „Rock-Lexikons“ hat bereits widerrufen – alles wird neu. 3,0

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