Drucksachen von Arne Willander

Er ist der Schutzheilige der Marihuana-Raucher, eine Art von Nationalheld und ein großer Selbstvermarkter: HOWARD MARKS brachte es Anfang der 70er Jahre auf die Titelblätter der britischen Boulevard-Presse, er war einer der meistgesuchten Männer der Welt, und es dauerte viele Jahre, bis die amerikanische Drogenfahndung ihn schließlich erwischte. Da war „MR. NICE“ (Grow! Publishing, 24,80 Mark) erstens reich und zweitens auf Mallorca, und nur ein komplizierter Code, den er bei Telefongesprächen benutzte, brachte einen fanatischen Polizisten auf die richtige Spur.

Die Schilderung der letzten Zeit von sieben Jahren im amerikanischen Gewahrsam, kurz vor der unsicheren Abschiebung nach England, ist das interessanteste Kapitel von Marks‘ ausufernder Autobiographie, die in England senstionell verkauft wurde und in Deutschland von einschlägigen Experten verlegt wird. Der Drogenschmuggler ist mittlerweile ein Popstar, den die Super Furry Animals, Kiffer vor dem Herrn, auf ein Plattencover nahmen und der von Lesungen und Gastauftritten bequem lebt.

Das war früher nicht anders: Nach kleinbürgerlicher Jugend in Wales empfing Marks ein Stipendium für Physik in Oxford, probierte aber lieber LSD, zog in eine Wohngemeinschaft und wurde zum Mittelpunkt der wachsenden Marihuana-Gemeinde in dem Universitätsdorf. Die weltfremden Hüter des College waren im Zuge der Studentenunruhen von 1968 mehr um den Bestand der Disziplin besorgt als um Drogenkonsum, und so durfte Marks einigermaßen ungestört seinen Geschäften nachgehen, die der Ruhigstellung junger Menschen ja eher zuträglich waren. In angenehm bekifften Stunden widmete er sich der Philosophie, begriff Kant nicht, heiratete aber trotzdem und arbeitete nebenbei als Privatlehrer.

Durch einen Freundschaftsdienst geriet der existentiell Unentschlossene an pakistanische Großschmuggler und übernahm die Distribution in London. Nun häuften sich die Geldscheine in Pappkartons, und zwecks Expansion nahmen Marks und seine Kumpel Kontakt zu einem offenkundig verrückten Waffenschmuggler der IRA auf, der verzweifelt auf einen Anruf John Lennons wartete („Der Hurensohn ruft nicht an!“). Der Wahnsinn griff derart um sich, daß Marks ein Tarngeschäft mit Frauenmode unterhalten mußte, Geld mit teuren Briefmarken wusch und in skurrilen Transaktionen bald auch Amerika tonnenweise mit Stoff belieferte. Vorm Fernseher in Las Vegas wurde er Zeuge, wie eine gewaltige Ladung am Flughafen aufgebracht wurde. Und so ging es weiter und weiter, bis 1987.

Howard Marks erzählt das uneitel und mit detaillierter, vielleicht zu verschwenderischer Erinnerung. Das Netzwerk der Kontakte und Transfers läßt sich nicht mehr durchschauen, die handelnden Personen vervielfachen sich im Verlauf der Vita, das Geschäft frißt den Berichterstatter. Amüsant bleibt die Lebensbeichte auf 465 Seiten allemal, wiewohl das deutsche Lektorat hier und da hätte verkürzen können. Eine Justizakte als Farce – lehrreich auch für den, der andere Drogen (oder keine) vorzieht. Mit Musik hat das nur am Rande zu tun (die Kunden!), aber mit Rock’n’Roll eine ganze Menge. 3,5

Ergötzlich sind die Fotos des „Star Club“-Hausfotografen GÜNTER ZINT. „PORTRAIT OF MUSIC“ (Kultur Buch Bremen, 24,80 Mark) versammelt 80 herausragende Fotos aus den Sechzigern und frühen Siebzigern. Trotz bescheidener Aufmachung bestechen die Bilder bar jeder Inszenierung: Der junge Achim Reichet als Grimassenschneider und vor dem Tor zur Kaserne, John Lennon bei den Dreharbeiten zu „How I Won The War“, Morrison und Hendrix auf der Bühne, ein wüster Dave Dee, die Beatles fast privat mit den Rattles, Steve Winwood und Frank Zappa im „Beat-Club“. Ältere Semester werden sich erinnern, jüngere können nur staunen. Eine Basis-Arbeit aus den Tagen, ab das Wüten noch geholfen hat. 3,0

Wer das Schaffen der Gruppe Can für eine Irrung und Wirrung hält (wie der Autor dieser Kolumne, Schande über ihn), der wird an CAN BOX : BOOK (Medium Music Books) wenig Freude haben. Akademik und Spielerei werden schon am Titel deutlich, dazu sind die meisten Texte parallel zum deutschen Text in Englisch und Französisch lesbar. Die Buch-Box besteht zu großen Teilen aus Interviews, die Wolf Kampmann mit den einzelnen Veteranen führte, eine Historie stammt von Gabriele Meierding, allerlei freundliche Statements von Jüngern und Nachfolgern (wie immer ganz vorn: Thurston Moore von Sonic Youth) kommen hinzu. Nun ist es wenig sinnvoll, immerzu die Künstler sprechen zu lassen (zumal die sich sich oft genug kaum erinnern) statt deren Werk, das der Deutung bedarf. Eine Schülerzeitungs-Arbeit, eine Anleitung für Fans. 2,0

Am Ende sang Patti Smith mal wieder ein Requiem. Wie bei Alan Ginsberg, so auch bei Herbert Huncke. Dem sogenannten Hipster, der stets unter den Beat-Poeten weilte, obwohl er nie etwas schrieb und vermutlich auch wenig las, hat Alfred Hackensberger mit „I AM BEAT – DAS LEBEN DES HERBERT HUNCKE“ (Rotbuch Verlag, 28 Mark) ein Denkmal gesetzt – ein Denkmal allerdings, das reichlich brüchig ist Denn der Stricher und Junkie Huncke, der angeblich die Phantasien der im Untertitel des Buches großspurig erwähnten Freunde Ginsberg, Burroughs und Kerouac auslebte, war wohl doch eher Lustknabe und Muse der Hedonisten, von denen ja nicht viel mehr geblieben ist als „Howl“, „Naked Lunch“ und „On The Road“. Schade bloß, daß sie noch so lange weiterleben mußten, bis sogar der Nachruhm fast aufgebraucht war. Huncke lebte nicht schlecht im Schatten des Kultes, und in Hackensberger hat er knapp vor seinem Tod 1996 einen Laudator gefunden.

Es muß sich um eine dunkle Obsession Hackensbergers handeln. Während Huncke per Telefon irgendwelche Drogen in seine New Yorker Wohnung bestellte, lauschte der Autor andächtig den Erinnerungen des ehemaligen Seemanns, des „rücksichtslosen Schnorrers“, ja „radikalen Individualisten“, dem notwendige Diebstähle zum Lebensunterhalt das Selbstverständlichste waren. Man kennt die Glorifizierung von low life und Freiheit.

Viel ist es nicht, was Hackensberger kurz vor Toresschluß noch zusammengebracht hat, aber nett geschrieben. Wir erfahren einiges über Penisgröße, Masturbation, Benzedrin und den Beat. Über Literatur nichts. Ein faszinierendes Leben? Yessir, noch eine Ladung Kokain! 2,5

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