Drucksachen :: von Wolfgang Doebeling

Biographien sollten Fazit und Evaluation sein, ein Leben ausleuchten, ein Lebenswerk beschreiben und bewerten. Dazu muß freilich erst mal einer gelebt haben und auf mehr verweben können als ein paar erfolgreiche T-Shirts. In diesem Sinne: drei Lebensgeschichten längst verblichener Legenden…

„LOUIS ARMSTRONG – AN EXTRAVAGANT LIFE“ (HarperCollins, ca. 80 Mark) von Laurence Bergreen ist beileibe nicht die erste Satchmo-Bio, wohl aber die ausführlichste und akribischste. Bergreen legt keinen Wert auf mitreißende Prosa, erreicht mit seinem eher bedächtigen Stil aber eine Balance zwischen dem Künstler und seiner Kunst, ein inneres Gleichgewicht also, das um so sinnfälliger wird, je mehr Armstrong die Rolle ausfüllt, die ihm die Jazz-Geschichte zugedacht hat. Der gutmütige, stets lachende Onkel Tom mit dem blütenweißen Taschentuch und blutenden Lippen, der tapsige Tanzbär mit Trompete und angenehmer Gurgelstimme. Ein Image, das ihn erst in den 60er Jahren ereilte und das zu ihm paßte wie die Faust aufs Auge. Als Sohn einer 15jährigen Prostituierten kurz nach der Jahrhundertwende in New Orleans geboren, zog der „kleine froschmäulige Junge“ von Hunger und Elend getrieben durch die Straßen, landete im Erziehungsheim, wo man ihm Disziplin und Musik nahebrachte, was ihn jedoch nicht daran hinderte, später seine Brötchen eine Weile als Zuhälter zu verdienen. Bis die Trompete zuerst ihn und nach mühsamen Jahren er dann die Trompete verzauberte. Die folgende Karriere ist landläufig bekannt. Wie der Traditionalist die Bebop-Revolution überlebte, wie sich die ehemalige Inkarnation des Jazz ans Musical verdingte und wie aus dem jugendlichen Improvisationswunder am Ende der behäbige Interpret sonniger Jazz-Oldies wurde. Weniger bekannt sind sein lebenslanger Hang zur Vielweiberei („always have more than one woman“) und zum Marihuana („sehr gut gegen Asthma“).3,5

Eine Lücke schließt ERNEST TUBB – THE TEXAS TROUBADOUR“ (Duke, ca. 50 Mark) von Ronnie Pugh. Pionier wie Satchmo und für die Country Music so wichtig wie jener für den Jazz, weist Tubbs Leben erstaunliche Parallelen auf zum oben skizzierten. Dreizehn Jahre später, aber ebenfalls im tiefen Süden geboren (East Texas), als Sohn einer religiös eifernden Mutter mit „einem Viertel Cherokee-Blut“ in den Adern, fand der junge Tubb nach etlichen Wirren auch erst in seiner Musik Halt Historisch und musikalisch das Bindeglied zwischen Jimmie Rodgers und Hank Williams, erlebte Ernest Tubb seine Blütezeit in den Vierzigern. Und was Charlie Parker für Louis Armstrong wai; wurde Elvis für den Texas-Troubadour: der Anfang vom Ende. Wie Onkel Louis sollte er 70 Jahre alt werden, anders als dieser blieb Tubb jedoch zeit seines Lebens bei seinen Honky-Tonk-Leisten und weigerte sich störrisch, vor dem herrschenden Rock’n’Roll den breitkrempigen Hut zu ziehen. Hervorragend und hilfreich ist die ausführliche Discographie. 4,5

Phil Ochs, der große politische Idealist und Folk-Aktivist der Sixties, lebte nur halb so lang wie diese beiden, doch „Phil managed to put 85 years into 35 years on earth“, wie ein Freund treffend formuliert „THERE BUT FOR FORTUNE – THE LIFE OF PHIL OCHS“ (Hyperion, ca. 45 Mark) von Michael Schumacher (nein, natürlich nicht das rasende Ekelpaket). Etwas Anekdoten-lastig und stellenweise arg pathetisch, ist diese Bio dennoch eine perfekte Ergänzung zu Marc Eliots „Death Of A Rebel“, weil sie luzider und leidenschaftlicher geschrieben ist, vor allem in bezug auf Ochs‘ Vorgeschichte als Journalist, seine Rivalität mit und Verachtung für Bob Dylan, seine Schreib-Blockaden und manisch-depressiven Höllenfahrten, aber auch bezüglich seines alles überstrahlenden Humanismus und seiner aktiven Hilfe für hypertalentierte und sträflich ignorierte Talente wie etwa Sammy Walker. Der Folk-Heroe als Don Quixote, das Leben als Niederlage. Macht wütend. 4,0

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