Duffy – Rockferry :: Wunderbares Retro-Soul-Album der walisischen Hoffnungsträgertn

Bei uns daheim heißen einschlägige Sieger von Talent-Wettbewerben Elli Erl, Martin Kesici oder Stefanie Heinzmann, und niemand hat je angenommen, dass solche Gestalten noch eine Karriere haben werden, wenn sie 30 Jahre alt sind. Da es immer der Sänger ist, nie der Song, kennt man den vormaligen Kandidaten mit einer Auswahl von Evergreens und kurrenten Hits – Identität, Profilierung, ja Authentizttät rücken in weite Ferne. In Schweden sitzen offenbar ein paar Songschreiber, die jene Aufgaben übernommen haben, die früher das Brill Building erfüllte — derzeit sind es spectoreske und motownhafte Song der Sorte, die Amy Winehouse berühmt machten. Man hört immer wieder gern, wie Stefan Raab, Anja Lukas Eder und Carl Carlton enthusiasmiert Stanzen wie „Hammer“, „Du hältst die Töne auch hinten raus“, „Dein Timing ist perfekt“, „Deine Phrasierung ist super“ stammeln. Und wenn das Mädel knackig aussieht, kann es auch gewinnen — anders als bebrillte Koreaner oder Hermaphroditen mit unsicherer Geschlechtsidentität. Aimee Duffy hat bei dem notorischen Fernseh-Sangeswettbewerb in Wales („X Factor“) vor vier Jahren knapp nicht gewonnen, fiel aber einigen hochmögenden Leuten auf. Eine erste Platte mit hastig zusammengestellten Stücken verdümpelte. Dann kam mit Bernard Butler ein Produzent hinzu, der sich Duffy als Sixties-Girl, namentlich als Dusty Springfield vorstellen konnte — und die Mittel kannte, mit denen man den entsprechenden Sound entwirft. Das dauerte. Und Lieder mussten auch geschrieben werden, längst nicht alle von Butler selbst – sondern von den Kunsthandwerkern Jimmy Hogarth, Eg White und Steve Booker.

Das alles ist nun außerordentlich geglückt, und Aimee durfte sogar eigene Texte liefern, die zwar wenig originell sind (Verlassenwerden, Eifersucht, Sehnsucht, Mädchenhoffnungen), aber gegenüber der üblichen Soul-Lyrik auch nicht auffällig banal. Wie sie etwa zu zögerlichen Gitarren-Akkorden „Syrup & Honey“ zetert, das lässt durchaus an Lebens- und Leidensfrauen denken, die um einiges älter sind. „Hanging On Too Long“, „Delayed Devotion“ und „Mercy“ sind beinahe noch besser, will sagen: emphatischer als das sich refrainlos emporschraubende „Rockferry“, das freilich für eine Single sensationell subtil komponiert ist. Die Streicher-Arrangements und Melodien haben die Klasse von Burt-Bacharach-Stücken, ohne so verzinkt und raffiniert zu sein. Hier mag man es gern eingängig, und „Mercy“ klopft und orgelt tatsächlich Winehouse-mäßig mit diesem gepressten Zicken-Gesang. Nummer eins in England! „Distant Dreamer“ ist die Ballade, bei der „If I Can Dream“-Elvis-weltumspannend kein Auge trocken bleibt. Und dieser Traum wurde auch noch wahr.

Duffy und ihre Gönner ziehen also alle Register, und die Frage, ob dieser Star nicht gemacht (statt geboren) wurde, wird bald nur noch eine akademische sein. Natürlich ist gerade ein so reifes Album geeignet, Zweifel an der Zukunft der Sängerin zu wecken: Mit Retro-Glorie wird sie nicht lange reüssieren können. Wenn sich Großmutter und Großvater freuen, wird sich die Rihanna-Generation nicht überzeugen lassen. „Rockferry“ ist ein Ort an der walisischen Grenze und ein Ort der Imagination: Provinzmädel kommt ganz groß raus. Hat Hits. Veröffentlicht Album. Gewinnt Brit Awards. Trifft Königin. Trifft Prinz Harry…

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