Eddie Hinton – The Anthology 1969-93/Playin‘ Around – The Songwriting Sessions Vol. 2/Dear Y’All – Songwriting Sessions, Vol. 1
Makaber, aber wahr: Seitdem sich die Cracks bei Ace Records der Goldwax-Aufnahmen von James Carr annahmen und die in prima Neuüberspielungen komplett wiederveröffentlichten, ist diese Soul-Legende mittlerweile bekannter als der große Eddie Hinton. Als Session-Gitarrist ist der Mann auf Hunderten Platten – Aufnahmen von Aretha Franklin, Arthur Conley und Solomon Burke bis Johnny Taylor und Fred Hibberts „Toots In Memphis“ – allgegenwärtig. Die Box Tops und Willy DeVille, Dusty Springfield und Tony Joe White, Percy Sledge, Bohby Womack und andere haben seine Songs aufgenommen. Aber wenn man die vier Platten auftreiben will, die er zu Lebzeiten veröffentlichte, erfordert das mehr Spürsinn, als wenn man sich „nur“ die beiden CDs mit den „Songwriting Sessions“ von Zane Records besorgen möchte.
Ewig vergriffen ist die Remaster-Ausgabe von „Letters From Mississippi“, die Mobile Fidelity Sound Lab seinerzeit mit einem Outtake als Bonus-Track veröffentlichte. Produzent Jerry Wexler erlebte die beiden in Muscle Shoals „as soul brothers – two poets, one world-renowned, the other known only to a few friends, neighbours, and fans, both riveting artists, both brillant“. Das mit dem „known onlv to a few friends“ ist ein wenig übertrieben, denn so gänzlich aus der Welt war Eddie Hinton für Kenner dann doch nicht. Er schaffte es manchmal sogar bis nach Europa: Der Chef des Poretta International Soul Festival lud ihn nach Italien ein, wo er vier Jahre vor seinem frühen Tod am 25. August 1991 mit der Memphis All Star Band ein Konzert gab. Mitschnitte davon sind jetzt zu hören auf „Playin‘ Around – The Songwriting Sessions Vol. 2“ (Zane, 4). Klassischen Südstaaten-Soul in Poretta Terme live zu erleben, muß erhebend gewesen sein.
Die neue Raven-Anthologie erhebt keinerlei „Best Of‘-Anspruch. Eine solche, so Keith Glass in den Liner Notes, muß‘ te so gut wie alles enthalten, was Eddie Hinton je aufgenommen hat. Das ist also nur der denkbar knappste Überblick zum ersten Kennenlernen, aber als solcher wirklich nicht übel. Bei dieser Rosinenpickerei gibt’s auch drei Aufnahmen der für 1970 geplanten und dann nie veröffentlichten „Coleman-Hinton Project“-LP. Platten wie „Letters From Mississippi“ kann und will diese Retrospektive nicht ersetzen.
Man fragt sich bei diesen 21 Aufnahmen nur leicht fassungslos, wieso der als „weißer Otis Redding“ gepriesene Komponist, Gitarrist und Sänger mit dieser Reputation unter Kollegen und seinen Beziehungen nie zu mehr Aufmerksamkeit bei Plattenfirmen brachte und später auch schon mal als Penner sein Dasein fristen mußte (was er gegenüber Interviewern hartnäckig leugnete). Von Peter Guralnick in „Sweet Soul Music“ als „the last of the great white soul singers“ in demselben Jahr gelobt, als er „Letters…“ aufnahm, klang er überhaupt nicht wie jemand, der bereits resigniert hatte.
Der Bankrott des Capricorn-Labels war vorher natürlich auch für ihn ein Schlag ins Kontor gewesen. Aber auf die Unterstützung von ihn bewundernden Freunden wie Jim Dickinson konnte er sich alleweil verlassen. Die Fehler hatte er alle schon früher gemacht, auch den, Angebote von Atlantic und Island Records zurückzuweisen zu einem Zeitpunkt, als man dort durch etablierte Bands soviel Geld scheffelte, daß man jederzeit an neuen hoffnungsvollen Talenten interessiert war.
Davon, wie vielseitig seines war, vermittelt im übrigen auch das vor fünf Jahren veröffentlichte „Dear Y’All“ als Folge 1 der „Songwriting Sessions“ (4) einen noch gründlicheren und umfassenderen Eindruck als die späten Studioprojekte. Nur wärmstens zu empfehlen!