Ein Hologramm für den König

Dem US-Autor Dave Eggers gelingt es wie zurzeit keinem Zweiten, das Selbstverständnis seines Heimatlandes zu reflektieren. Seinen neuen Antihelden schickt er zur Verteidigung Amerikas in die saudische Wüste

von Dave Eggers

Wäre man vor zehn Jahren gefragt worden, wer von all den gefeierten US-Jungautoren gerade an der Great American Novel schreibe, hätte man wohl als Letztes auf Dave Eggers getippt. Die Jonathans (Franzen, Safran Foer) oder Jeffrey Eugenides schienen eher das nötige Pathos und Sendungsbewusstsein für so eine Unternehmung mitzubringen. Eggers stand 2000 nach seinem Debüt „A Heartbreaking Work Of Staggering Genius“ (dt. „Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität“, 2001), in dem er vom Krebstod seiner Eltern und der daraus erwachsenden Verantwortung für seinen kleinen Bruder Toph erzählte, für gewitzten Subjektivismus und postmoderne Spielereien und schien eher ein Erbe Donald Barthelmes als etwa John Updikes.

Aus heutiger Sicht sieht man die Sache natürlich ganz anders. Eggers‘ autobiografischer Text, für den er den Pulitzer-Preis in der Kategorie „General Non-Fiction“ bekam, ist der Grundstein einer großen amerikanischen Erzählung geworden. Wo sonst, wenn nicht bei der Eigenverantwortung des Individuums, hätte man diese auch beginnen sollen? Da unterscheidet Eggers sich nicht von Ayn Rand. Das war es dann allerdings auch mit den Gemeinsamkeiten. Sein verspielter erster Roman „Ihr werdet (noch) merken, wie schnell wir sind“, scheint geradezu ein Plädoyer gegen Rands kühlen Objektivismus zu sein (die erweiterte Ausgabe des Buches nannte er „Sacrament“).

Und gerade als Eggers eine eigene literarische Stimme gefunden zu haben schien, nahm er sich zurück und ließ andere sprechen, erzählte in „Weit gegangen“ klar und direkt die Lebensgeschichte eines sudanesischen Immigranten und zwei Jahre später in „Zeitoun“ das Schicksal eines in New Orleans lebenden Moslems während des Hurrikans Katrina. In diesen klischeefreien, empathischen Beschreibungen des Fremden spiegelte der Bürgersohn aus Boston sein Heimatland und reflektierte so auch das amerikanische Selbstverständnis. Nun, in seinem jüngsten Roman, „Ein Hologramm für den König“, kehrt er die Perspektive um und schreibt über einen Landsmann in der Fremde.

Alan Clay, Mitte 50, freischaffender Consultant, ist nach Saudi-Arabien gereist, um König Abdullah gemeinsam mit einigen jungen Fachkräften im Auftrag einer Firma für Kommunikationstechnik ein neues Videokonferenzsystem vorzustellen. Das Ganze soll in der Business-Metropole King Abdullah Economic City stattfinden – genauer gesagt: dort, wo diese später einmal errichtet werden soll. Bisher gibt es nur ein Empfangsgebäude und ein paar großenteils leerstehende Apartmentblocks – sonst ist alles Wüste. Für Alan ist der erfolgreiche Ausgang dieses Geschäfts die letzte Chance – er ist stark verschuldet, wird das Haus in Boston, in dem er seit der Scheidung alleine wohnt, nicht los und kann die Studiengebühren für seine Tochter nicht zahlen. Jeden Morgen macht er sich also auf den Weg vom Hilton Hotel in Jeddah in die Wüstenei. Den Firmenshuttle verpasst er meist – existenzieller Druck, Schlaflosigkeit, und eine Zyste am Nacken bereiten ihm Sorgen, die er abends im Alkohol ertränkt, was am Morgen das Aufstehen erschwert. Er lässt sich von Yousef chauffieren, einem Müßiggänger, der von einem eifersüchtigen Ehemann bedroht wird und daher seinen Wagen vor dem Anlassen jedes Mal nach Sprengstoff durchsucht. Die amerikanische Abordnung hat sich bereits ohne ihn in einem Zelt eingerichtet. Doch dort gibt es keinen WLAN-Empfang, der aber für die Vorführung der neuen Kommunikationstechnik, mittels der man sich als Hologramm in jeden Konferenzraum der Welt beamen kann, vonnöten wäre. Und niemand fühlt sich für dieses Problem zuständig in Abdullah Economic City. Ob und, wenn ja, wann der König vorbeischaut, weiß auch keiner. Genauso gut könnte man auf Godot warten.

Alan, der mal bei der traditionsreichen Fahrradmanufaktur Schwinn in Chicago angestellt war und stabile Drahtesel an amerikanische Familien verkaufen wollte, nun aber einem abwesenden saudischen König ein Hologramm andrehen muss, beginnt zu zweifeln – an der globalen Wirtschaft, dem Sinn der ganzen Unternehmung, vor allem aber an sich selbst. Schließlich war er einst maßgeblich daran beteiligt, die Fertigung von Fahrrädern nach Asien zu verlegen, und hat somit eine Mitschuld (da sind wir wieder bei der Eigenverantwortung) an der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre – erst wanderte die Produktion ab, dann das Kapital. Ein Schock für das amerikanische Selbstbild. Alan erfährt am eigenen Leib, dass die USA nicht mehr der Mittelpunkt der Welt sind – er muss sich demütigen lassen und die Interessen seines Land, wie die US-Army, im Nahen Osten verteidigen.

Jedes Detail hat eine Bedeutung in dieser absurden und abgründigen Parabel, kein Wort ist zu viel. Eggers erzählt äußerst ökonomisch und konzentriert sich ganz auf seinen Protagonisten, eine tragikomische Gestalt, die in ihrer Umständlichkeit und der Gabe, immer das Falsche zu tun, an den erinnerungslosen Protagonisten aus Wolfgang Herrndorfs „Sand“ erinnert (und natürlich an Kafkas Josef K.). Alan Clay ist vollkommen überfordert von der Verantwortung, die seine Umwelt auf ihn lädt. Darin ist er dem Ich-Erzähler aus „A Heartbreaking Work Of Staggering Genius“ durchaus ähnlich. „Ein Hologramm für den König“ ist ein weiteres meisterliches Kapitel von Eggers‘ großer amerikanischer Erzählung. (Kiepenheuer & Witsch, 19,99 Euro)

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