EIN MANN – EIN MORD von George Armitage :: ab 21. August

Was machen Auftragsmörder nach Feierabend? In Wong Kar-weis melancholtsch-eskapistischem Hongkong-Dramolette fallen Angels“ knallt ein Killer in einer Imbißstube mehrere Gangster nieder und steigt in einen Bus. Ein Mann setzt sich neben ihn, ein Schulkamerad, „weißt du noch“, damals und so, ob er sich erinnere an diesen oder jenen noch sehe, blabla… Der Killer nickt oder schüttelt den Kopf. Auf Fragen nach Job und Familie zückt er wortlos eine Visitenkarte und ein Foto. Der andere strahlt und schwatzt weiter. Er heirate bald: „Komm vorbei, ich verkaufe dir eine gute Lebensversicherung.“ Der Killer nickt, lächelt und denkt Jeder hat eine Vergangenheit Auch ein Killer. Und für solche Situationen hat er Alibis. Die Visitenkarte ist falsch, das Bild einer Fremden mit ihrem Sohn hat ihn nur einen Dollar gekostet. Vielleicht sollte er doch zu der Party gehen. Er würde gerne. Aber er wird nicht.

Der Film zu der Episode ist „Ein Mann – ein Mord“. Martin Q. Blank (John Cusack) ist erfolgreich und relativ reich und zögert trotzdem, sich zehn Jahre nach der High School zur Jubiläumsfeier in seine Geburtsstadt Grosse Pointe, einen Spießervorort von Detroit zu trauen. Martin ist ein Berufskiller „Was soll ich dort erzählen?“, fragt er seinen Psychiater Dr. Oatman (Alan Arkin). „Ich hab den Präsidenten von Paraguay umgelegt – und was treibt ihr so?“ Alle anderen werden „Ehemänner und Ehefrauen, Kinder und Häuser“ haben. Zudem habe er damals seine Freundin Debi (Minnie Driver) beim Abschlußball versetzt.

Doch Blank, im Job ohne Regungen und Reue, steckt in einer Identitätskrise. Zwischen den Aufträgen hockt er am Schreibtisch seines Büros, getarnt ab JPacific Tridant Global Shopping“, und blättert lustlos in Zeitschriften. Oatman rät dem labilen Assassin zu einer Heimattherapie: „Versuchen sie mal, einige Tage niemanden zu töten. Das wird ihnen sicher gut tun.“ Auch Blanks Sekretärin Marcella Qohn Cusack) drängt ihn zur Reise. Nebenbei könne er ja in Grosse Pointe einen Auftrag erledigen. Vielleicht… kill ‚em light.

Klassische Killer haben keine Vergangenheit – und wenn, reicht sie lediglich bis Ex-Boxer, Ex-Bullen, Ex-Ehemann, Ex-Elitesoldaten. Es gab John Woos „The Killer“, Jean-Pierre Melvilles „Le Samurai“, Don Siegels „The Killers“, Einzelgänger, Ikonen, Mythen oder gar Phantome, lakonische Heroen, brutale Gentemen, zynische Profis. Es ist eine eigene Welt, die ihnen keinen Alltag gönnt, und meistens sterben sie an ihrer Sehnsucht danach, oft mit beklemmender Beiläufigkeit wie im Gangstermelodram „Blast Of Suence“. Dann stilisierte Quentin Tarantino seine „Reservoir Dogs“ und vor allem das odd contract killer couplejvles und Vincent in „Pulp Fiction“ zu Menschen. Jedenfalls halten wir sie dafür, da sie wie wir über Popsongs und Pilotfilme, Cheeseburger und die Höhe des Trinkgelds plaudern, locker Drogen einwerfen und irritierend charismatisch sind, wie sie zugleich jedes Klischee erfüllen und enttäuschen. Ihre Dialoge blasen einem das Hirn weg, die „Reservoir Dogs“ sind sogar im Manierismus und Makabren „naturalistic as hell“, so ein Zitat.

Regisseur George Armitage reißt all dieses in seinem Film an. Blank knallt wie Woos hard boiled Meisterschützen mit zwei Pistolen, trägt den coolen schwarzen Anzug von Jules und Vincent, und bei einer Schießerei durchlöchern Querschläger ihre Pappfiguren. Marcella hat ihren Namen vom Mafiaboß Marcellus Wallace aus „Pulp Fiction“, und Blanks Q. ist „Mc Q“ mit John Wayne entlehnt Cusack, der zudem das Drehbuch verfaßt hat, kämpfte sich gerade als soft-smarter Cop durch die zynische Exploitationkarikatur „Con Air“. Es gibt weitere Querverweise, aber „Ein Mann – ein Mord“ ist kein Gangster-Actionfilm oder die Persiflage auf einen Berufskiller, auch definitiv nicht pulp, was manche wieder daherreden werden. Er ist die Antithese und eine Farce dazu, und Martin Q. Blank ein ganz normaler Psychopath des american dream. „Ich töte nicht sinnlos, sondern für Geld“, erklärt er, der gerade den Bestseller „Making Sense Of Creation“ gelesen hat, der entsetzten DebL Dir Vater stutzt, als Blank ihm seinen wahren Beruf angibt, lobt aber: „Ein lukrativer Markt“ Später entpuppt er sich als Opfer in Blanks Auftrag.

Der gunman als businessman dient als satirisches Symbol für rücksichtslose Gier und seine Rückkehr zu den Wurzeln als Suche nach Seelenheil. Crusack spielt den verlorenen Sohn vorzüglich mit neurotischer Nervosität und verkrampfter Blässe, die konzentrierte Gewalt birgt Grosse Pointe steht für Heim, Familie, Reichtum, Karriere, also Werte, für die Amerikaner töten würden, die es jedoch auch wert sind, weggepustet zu werden. Der Hippie ist nun ein Immobilienmakler und qualmt im BMW heimlich Joints, der Klassentrottel ein Cop, seine Mutter senil und im Altersheim, an der Stelle seines Elternhauses steht ein Supermarkt. Armitage entgeht dem Reaktionärem dieser Konstellation, indem er die Bilder des Familienkinos und Actionfilms aufeinander prallen läßt Beim Kampf Blanks mit seinem Konkurrenten Felix explodiert jener Supermarkt, während ein slacker mit Walkman am Videogerät ballert Gerade hat Blank noch ein Baby geherzt, da ersticht er Felix im Flur seiner Schule mit dem Kugelschreiber, den ihm ein Klassenkamerad kurz vorher geschenkt hat, unterlegt mit Nenas „99 Luftballons“. In „Natural Born Killers“ wurde eine ähnliche Szene mit einem Bleistift, einer Insigne der Zivilisation als (metaphorisches) Mordinstrument, herausgeschnitten. Grotesk gut sind die verbalen Duelle mit seinem hemdsärmeligen Erzrivalen Grocer (Dan Aykroyd), der ihn vergeblich für seine Killer-Gewerkschaft anwerben wilL Beim Showdown mit ihm schießt sich Blank, ganz Profi, den Weg ins Glück mit Debi frei.

„True Romance“, wie Disney es sieht.

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