Flowerpornoes – Ich & Ich

Kein schlechter Titel, aber man macht sich doch Sorgen. Ich und Ich. Ist Tom Liwa ein Fall von Schizophrenie? Oder hat einfach nur der Bob-Dylan-Fan in ihm die Oberhand gewonnen, und er zitiert den Dylan-Song „I And I“? Wahrscheinlicher ist, daß mit beiden Ichs das eine Ich gemeint ist, das von Liwa. Mehr als von Straßen, Zügen oder irgendetwas anderem hat er ohnehin seit jeher von sich geredet. Als Songwriter, als Textschreiber ist er immer von der ersten Person Singular ausgegangen. Liwa, die Ich-Maschine.

Aber die zwei Ichs im Titel haben ihre Berechtigung, als Zeichen von gesteigerter Selbstreflexion: Auf dem letzten Album nahm die Auseinandersetzung mit der Außenwelt noch breiteren Raum ein, jetzt scheint Liwa weitgehend mit sich allein zu sein. Wenn er im zweiten Song „Eng in meinem Leben“ Menschen beschreibt, die ihm zu nahe kamen, werden doch nur die eigenen Widersprüche und zwiespältigen Gefühle analysiert. Die anderen kommen nur als Spiegel vor. Insofern ist Tom Liwa der Peter Handke der deutschsprachigen Popmusik. Wir warten auf die Doppel-CD aus der Niemandsbucht.

Musikalisch ist es wieder lauter geworden: Vom Folk-Konzept des letzten Albums haben sich die Flowerpornoes verabschiedet. Kein „Harvest“-Scheunensound mehr, statt dessen fast schon Breitwand-Arrangements. Stellenweise hört man eine Art Rock-Bigband mit Bläsern, übereinander geschichteten akustischen und elektronischen Gitarren und kleines Extras. Als Gastmusiker sind unter anderen Chris Cacavas und der Gitarrist von Sharon Stoned dabei. Und Leander Haußmann, Chef des Bochumer Schauspielhauses, bläst die Mundharmonika, nachdem er schon in Detlev Bucks Film „Männerpension“ aufgetreten ist.

Intendant ist wohl auch kein so zeitraubender Job mehr wie früher.

Im ersten Song, „Stadion“, wird der R.E.M.-Sound von „Monster“ imitiert, zwischendurch glüht die Gitarre wie bei Neil Young, ab und zu muß man an Dylan denken, und ganz am Schluß tupft Liwa eine deutsche Version von Van Morrisons „Sweet Thing“ hin, wie sie zarter kaum klingen könnte. Musikalisch bleiben die Flowerpornoes eldektizistisch. Dabei wechseln sie Stil, Sound und Wärmegrad immer schneller und übergangsloser. Zusammengehalten wird alles vom lyrischen Liwa-Ich, das sich mal wieder mit alten, großen Fragen herumschlägt: Ob es nach der Todessehnsucht noch Liebe geben kann, warum die Menschen keinen Respekt voreinander haben und was eigentlich Leute dazu bringt, riesige Rockfestivals in Stadien zu besuchen.

In den besten Momenten erreicht Tom Liwa dabei das Songschreiber-Nirwana: Er formuliert seine Fragen so, daß sie keine Antwort mehr brauchen.

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