Freispiel

Ruby Velle & The Soulphonics It’s About Time ***1/2

Eine Soul-Formation mit Grassroots-Charakter, die zuerst den Clubs in Georgia eingeheizt hat, dann eine Reihe famoser 45s veröffentlichte, sich mit ihrer ersten LP gebührlich Zeit ließ und diese dann organisch aufnahm, in Atlanta, live im Studio. Die Session-Resultate wurden auf Halbzollband gebannt, hier ist nichts präfabriziert, nichts postgeschniegelt, nichts hochglanzpoliert: „Genuine Rhythm & Blues“, wie die Eigenwerbung nicht lügt. The Soulphonics spielen ihren Soul flüssig, ihren Funk eher lässig, durchaus präzise zwar, aber nur ausnahmsweise auf Punch versessen. Ein Septett, das sich der Tradition des Georgia Soul verpflichtet fühlt, die ja keine muskulöse, kraftstrotzende ist. Die Rhythm Section agiert elastisch, federnd, doch nirgendwo pneumatisch, das gesamte Ensemble-Spiel ist slick, verrät Routine, indes gerade so viel, dass es nicht in Perfektion erstarrt. Ruby Velle, geboren in Kanada, hat sich in diesen Südstaaten-Soul „hineingefühlt“, wie sie sagt, verfügt aber nicht über eine Gospel-trainierte Stimme, die ihr erlauben würde, aus sich herauszugehen, zu exaltieren. Ihr Gesang klingt nördlich-beherrschter, ist säkular motiviert, deswegen jedoch nicht kühl oder gar sachlich. Die Songs drehen sich um Beziehungskrisen oder beklagen den Zustand der Welt, im Titelsong wird ungeduldig an Gemeinsinn appelliert, zu flirrenden Streichern: „What’s Going On“ revisited. (Gemco)

Tender Trap Ten Songs About Girls ****

Superb! Okay, zugegeben, I’m a sucker for girl groups. Aber es ist schon lange keine LP dieses ja ohnehin primär auf Singles begeisternden Genres mehr erschienen, deren Facetten so verführerisch gefunkelt hätten. „Ten Songs About Girls“ ist so britisch, so gescheit, so humorvoll und so überfließend vor Melodien und mädchenhaftem Charme, dass es eine rare Freude ist. Eine Überraschung ist es nicht, schon auf Tender Traps letzter LP „Dansette Dansette“ war vieles am Knospen, was nun herrlich erblüht. Dank Amelia Fletcher hauptsächlich, früher Queen of Twee, inzwischen Herrin der zarten Falle. Von Talulah Gosh über Heavenly bis Tender Trap zieht sich ja ein Faden, der sich auch zurückzuverfolgen lohnt, sollte man Amelias Anfänge im C86-Biotop nicht kennen. Inzwischen hat sich mit der Stimme Emily Bennetts eine Harmony-Variation dazugesellt, die den Arrangements der ausnahmslos großartigen Songs beim Auffächern hilft. „Train From King’s Cross Station“ rattert im Choo-Choo-Takt, indes unruhige Gitarren dazwischenquengeln, „MBV“ schlägt einen Bogen von Edwyn Collins‘ Pony zu „our love of My Bloody Valentine“, während „Broken Doll“ an Endlichkeit rührt, musikalisch freilich flott: „A love of darkness/ Made his your last kiss/ As you slipped into one final dream“. (Fortuna Pop!)

Local Girls Deluxe Kicks ***1/2

Brachial, irrwitzig, widerborstig. Local Girls haben für ihre erste LP jenes Stil-Moment kollidierender ästhetischer Prinzipien fortentwickelt, das sie zuletzt auf ihrer 10-Inch-EP „The Wedding Jitters“ gedeihlich erprobt hatten. Hier ist nichts stromlinig, das Quartett aus London liebt es, mit Riffs zu sticheln, basslastig zu beunruhigen und sich mit ihren Texten geregelter Verdauung und gesundem Schlaf in den Weg zu stellen. Blues Rock, Punk und sinistre Grooves gehen eine unheilge Allianz ein, Ginger Bitters Sprechgesang zielt auf die Magengegend, trifft aber gern auch mal ein wenig tiefer. Wenn etwa ein Ekel in die Schranken verwiesen wird, „with your filthy old words and your skanky old teeth“, des Geschwängertwerdens satt. Anderswo geht es um latenten Rassismus, Gewalt, Psychosen. Erstaunlich, wie sich die kantigen Wort-Brüche und Akkord-Brocken zu grotesken Song-Skulpturen häufen; wie ein Track, der zunächst die Raincoats oder die Native Hipsters evoziert, jäh zu polterndem Rabatz mutiert; wie eine Stalker-Warnung verstören kann: „You don’t have a clue just how scarily well I know you.“ Am Ende von „Twigs“ schreit Ginger, den Höllenlärm übertönend: „Stick it up your arse!“ Eruptives Berserkertum trifft auf lyrisch unverbrämte Kaltschnäuzigkeit. Pretty it ain’t. (Sour Puss)

Richard Hawley Seek It ***1/2

Neulich backstage zeigte sich Richard Hawley vom Echo seines Singles-Clubs begeistert. Er hätte die Auflagen wohl zu knapp angesetzt, denn die 10-Inch-Artefakte gingen weg wie geschnitten Brot, wären schnell vergriffen, und am Merch-Stand müsse die Laufkundschaft mit popeligen CDs vorliebnehmen. Merkwürdige Logik für einen Vinyl-Enthusiasten, aber an den 45s gibt es wenig zu kritteln. Dies ist die dritte von fünf, abermals mit einer A-Seite, die bereits von der letzten LP „Standing At The Sky’s Edge“ bekannt ist, und wieder mit überlegener Flipside. Nach „Kindly Rain“ und „You Haunt Me“ ist es nun das fünfminütig-epische, hingebungsvolle „Big Sister“, das die Frage aufwirft, warum der Ästhet sein bestes Material für Rückseiten reserviert. Eine logische Antwort wird man nicht bekommen. (Parlophone)

By The Sea Dream Waters ***1/2

Das Versinken in Traumgewässern birgt für By The Sea keinen Schrecken, das Quintett aus Liverpool bringt die Wunschvorstellung mittels dauniger Keyboards zu Gehör, die nur deshalb nicht allzu seifig wirken, weil sie mit den Gitarren und Stimmen verschmelzen und sich so vom Flächigen zum Dreidimensionalen emanzipieren. Ähnlich weiches, bloß rhythmischer unterlegtes Wabern offeriert die Flip „Eveline“. By The Sea sind Westcoast-inspiriert, doch klingen sie hier mehr wie Florida. (Great Pop Supplement)

The Soundcarriers Boiling Point ***1/2

Noch eine 7-Inch vom selben Label, auf weißem Vinyl. The Soundcarriers verstehen ihre Psychedelia weniger amorph, bringen mehr Wagnis und Struktur ins Spiel. „Boiling Point“ ist ein Exkurs ins Freakland, circa 1969, elliptisch und opak, „Eff.R“ setzt auf trippige Klangkaskaden samt Acid-Gitarren und Flötentönen, während „This Is Normal“ ebendas nicht ist, sondern ein experimentell angelegtes Pochen zu schillernden Sounds, vor deren Hintergrund Elijah Wood stoisch Weisheiten rezitiert. (Great Pop Supplement)

Cowbell Tallulah ***1/2

Die Besetzung des Brit-Duos – Mann an Gitarre, Frau am Schlagzeug – gemahnt natürlich an die White Stripes, doch ist der bolzende, rustikal krachende Rhythm & Blues von Jack Sandham und Wednesday Lyle stilistisch different geerdet. „Tallulah“ klingt, als wäre das Paar dort zu Hause, wo sich Boogie und Blues küssen, und auch „Cry Baby“ auf der B-Seite lässt wenig Zweifel aufkommen an Trad-Bewusstsein und dem simplen, schamlosen Willen zum – dare I say it – Rock. Nun ist es raus. (Damaged Goods)

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