George Jones :: The Complete United Artists Recordings 1962-64

Komplett-Karton mit Frühwerken des Country-Troubadours.

Das waren irgendwo Welten, die ihn bei seinem Auftritt in der „Johnny Cash Show“ beim kurzen Duett mit dem Gastgeber trennten: rechts der baumlange Kerl gegelt in der schicksten Man-in-black-Pose seiner Karriere auf dem absoluten Höhepunkt, neben ihm der ein wenig diminutiv wirkende Sänger in einer Art Nudie-Kostümierung, der die Zähne fast nicht auseinanderbekommt, die Songtexte fast förmlich rauspressst, während das Trio hinter ihm nahezu regungslos ohne eine Miene zu verziehen musiziert. In dem Medley auch „She Thinks I Still Care“, der Song, der ihn 1962 zum absoluten Superstar der Country Music gemacht hatte, obwohl kein Crossover-Hit wie drei Jahre vorher „White Lightning“, die Novelty-Nummer aus der Feder des Big Bopper. Natürlich keine flapsige Bemerkung des gutgelaunten Johnny Cash über die Sauf- und Drogen-Exzesse seines Gastes. Das wäre — er, der und Tammy Wynette bei derselben Plattenfirma—bei den Produzenten der Show auch nie durchgegangen. Showmaster Cash ist die neue Generation von Country-Star, George Jones eine alte, mit den Idolen der Vorkriegsjahre groß gewordene. Showbusiness in der Art, wie das – wir haben die späten 60er und frühen 70er Jahre

neuerdings gefeiert wird, ist ihm fremd. Für ihn zählen, wie für den nachgeborenen Kollegen Merle Haggard, in der Hinsicht ein anachronistischer Typ, zuerst und zu allerletzt die Songs. Und die Emotionen, die sie transportieren. Darin war und ist er Meister. Unübertroffen in seinem Genre. Und sang darum ungeniert Verse wie „Please talk to my heart cause I’m lonesome/ I don’t carc if your love’s not true.“

Es dauerte eine Weile, bis er es zu solcher Meisterschaft brachte. Als jüngster Sprosss einer kinderreichen Familie in einer typischen White-trash-Gegend von Ost-Texas aufgewachsen, eiferte er erst Vorbildern wie Lefty Frizzell und Floyd Tillman nach, imitierte dann auch gesanglich Ernest Tubb und Roy Acuff, bis er—der Zufall -Hank Williams traf, der ihm den weisen Rat gab, endlich wie George Jones und niemand anderer zu singen und Bill Monroe auch endlich Bill Monroe sein zu lassen.

Genau das erklärte ihm wenig später auch Harold W. „Pappy“ Daily, Mitbesitzer des kleinen Starday-Labels, bei dem er sich verdingt hatte und seine ersten Platten aufnehmen durfte. So richtig beherzigte er das aber noch nicht. Als er Mitte I955mit sich selber im Duett seinen ersten Hit „Why, Baby, Why“ aufnahm, klang er schon sehr nach Hank Williams mal zwei! Auch beim Country-Heuler „Just One More“ kultivierte er noch diesen high fonesome sound-Tenor. Bei „Color Of The Blues“ hatte sich die Klangfarbe der Stimme schon merklich geändert, und bei „The Window Up Above“ war erstmals das unverwechselbare Timbre identifizierbar. Die herzzerreißende Geschichte von einem Mann, der über den Ehebruch seiner Liebsten nicht hinwegkommt (aber ihr trotzdem nu r Glück für den Rest ihres Lebens wünscht), sang er emotio-nal so aufgeladen, dass das sein erster Country-Hit wurde. (Die erste Nummer eins, „White Lightning“, hatte dagegen mehr mit Chuck Berry als mit Bück Owens oder Lefty Frizzell zu tun.)

Einmal zu United Artists gewechselt, erzählte er mit „She Thinks I Still Care“ auch eine ähnlich traurige Geschichte, nur aus anderer Perspektive als „The Window Up Above“. Nicht er, sondern sie ist jetzt diejenige, die nicht so recht wahrhaben will, dass die Beziehung ihr endgültiges Ende gefunden hat. Er verzierte an diesem 4. Januar 1962 die Melodie noch mit ein paar sentimentalen Schlenkern, weil er meinte, dass alles so noch mehr Wirkung beim Hörer zeitigen würde. Auf die verzichtete er später, sang das lapidarer, dabei aber mit einer noch größeren Überdosis an Gefühl und Melodrama.

Wie bei diesen hier chronologisch folgenden Aufnahmen der United Artists-Jahre bestens nachzuverfolgen, brachte er Balladen und Country-Heuler zunehmend umso überzeugender rüber, je lakonischer er bei“I Could Never Be Ashamed Over You“ oder „Yes I Know Why“ seinen Standpunkt darlegte. Im Zweifelsfall sorgten bei einem Song wie „Give My Love To Rose“ auch die Tex-Mex-Anklänge für noch mehr emotionalen Schub, und die Version des Johnny-Cash-Klassikers zeigte nur, wie der Mann sich in solche Vorlagen einfühlen konnte. Auch in die von Hank Williams bei dem hier auch komplett zu hörenden Tribute-Album. Produzent „Pappy“ Daily ließ die Fiedel bei „Your Cheatin‘ Heart“ schluchzen, den Rest besorgte George Jones. Je mehr die Stimme Tiefe entwickelte, um so eher animierte ein Song wie „They’ll Never Take Her Love From Me“ den Zuhörer, dazu ins Bier zu heulen. Bei dem ganz à la Mode Hank Williams vorgetragenen „Bubbles In My Beer“

besaß sie diese Tiefe noch nicht. Es war trotzdem eine der besten Aufnahmen der ebenfalls hier enthaltenen LP „George Jones Sings Bob Witts“.

Große Klasse demonstrierte er auch bei den Steilvorlagen, die Feiice und Boudleaux Bryant lieferten. Und lange vor der Zeit mit Tammy Wynette ließ er mit Melba Montgomery den sentimentalen Hund raushängen, auch bei dem mit Johnny Mathis geschriebenen „What’s In Our Hearts“. Was gerade bei Louvin Brother-Vorlagen jaauch nicht schwer war. 1956 hatte er mal für ein paar Minuten darüber nachgedacht, ob’s sinnvoll sein könnte, sich auf der Bühne so wie dieser Neuling Elvis Presley zu bewegen. Die Idee verwarf er dann aber umgehend. „Blue Moon Of Kentucky“ deutete er mit Miss Montgomery später dann auch ganz anders. Unter der Handvoll unveröffentlichter Raritäten hier „Alabama“ von den Louvin Brothers und „Is This How A Broken Heart Dies“. Wer das schrieb, konnten ausnahmsweise selbst die Spezialisten bei Bear Family für die wie immer üppigen Liner Notes und Dokumentationen nicht ermitteln.

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