Grouper The Man Who Died In His Boat
Rätselhaft schimmert der Waldsee am Abend, die Wipfel rauschen, die Sonne sendet letzte Strahlen über das Wasser; froh sitzt man mit einem selbstgeschnitzten Pfeifchen auf der Blockhüttenveranda und schmaucht ein duftendes Kraut. Doch horch! Was schallt da vom anderen Ufer heran? Eine liebliche Frauenstimme singt ein melancholisches Lied! Man hört die Melodien und hört, wie der Wind sie über dem See wieder verweht. Von den dunkel drumherum sich erhebenden Hügeln hallen die Melodien milde wider, irgendwann ist die ganze Luft voll Gesang und Geräusch; ein schmeichelnder, schöner und warmer Klang schwebt über dem dunklen Wasser.
So sind die Songs, die Grouper singt: verwehende Folkmelodien in Moll, die immer wieder in ihren eigenen Echos versinken oder in plüschigen Gitarren-Drones; vielleicht könnte man sagen: So plüschig wie Grouper umpuschelt sonst niemand mit Störgeräuschen die eigene Stimme. Eigentlich heißt sie Liz Harris und kommt aus Portland, Oregon; ihr Debüt „Dragging A Dead Deer Up A Hill“ erschien 2008 auf dem für Doom-Musik aller Art zuständigen Londoner Type Label und war seit Jahren vergriffen. Bei Kranky Records wird sie jetzt wieder veröffentlicht – zusammen mit dem neuen Album „The Man Who Died In His Boat“, auf dem sich nach Auskunft der Künstlerin allerlei Outtakes aus den 2008er-Aufnahmen befinden. Doch stehen diese dem Hauptwerk keineswegs nach: Man höre nur das Stück „Vital“, auf dem Grouper zu schnarrend gezupften, kargen Akkorden den schmeichelndsten Engelschor anstimmt, den man sich vorstellen kann.
Weit weniger weich wirken hingegen die elf Lieder, die uns die kalifornische Folksängerin Jessica Pratt auf ihrem fabelhaften Debütalbum „Jessica Pratt“ (Birth Records) bietet. Was nicht heißt, dass es ihnen an Schönheit ermangelte, im Gegenteil: Zu wirkungsvoll schlichter Gitarrenbegleitung singt sie mit leicht gepresstem, gelegentlich glockenhell sich erhebendem Sopran über Daseinszweifel, Weltmüdigkeit und Verlust. Manchmal – wie in dem zweiten Stück „Hollywood“ oder dem herzzerreißenden „Midnight Wheels“ – fällt sie auch in jenes artifizielle Landmädchenmeckern, wie es in den vergangenen Jahren vor allem von Joanna Newsom gepflegt und stilistisch weiterentwickelt wurde. Doch findet Pratt aus der Künstlichkeit und dem Meckern stets wieder schnell zu scheinbar naiven Folk-Intonationen zurück: So wirkt ihre Musik ebenso naiv wie weltweise verwittert, sentimental beschwert wie auf tapfere Weise schön. Das letzte Stück „Dreams“ singt Jessica Pratt mit sich selbst, während die Gitarrenbegleitung leiernd erlischt.
Bei Dylan Carlson wiederum kommt die Gitarre gegenwärtig über ein schwaches Glimmen gar nicht mehr hinaus: Der aus Seattle kommende Drone-Meister, der mit seiner Band Earth zuletzt eine Art dämonisch unterwühlten Zeitlupen-Country-Rock spielte, hat sich unter dem Namen drcarlsonalbion der okkulten britischen Folkmusik zugewandt. Auf der Doppel-7-Inch „Modern English Folklore Volume One: Hackney“ (The Wormhole) lässt er sein stark gefiltertes Instrument lediglich – dies aber in der effektvollsten Weise – hallig schnaufen und milde schnarren, während die junge Spoken-Poetry-Künstlerin Rosie Knight alias The Hackney Lass in herrlich heiserem Hackney-Akzent von griechischen Göttern und keltischen Feen kündet, aber auch von den proletarischen Kindern aus ihrem Viertel und ihrer Odyssee durch das Leben. Wo bei Jessica Pratt und bei Grouper zeitenthobene Einsamkeit herrscht, überlassen Dylan Carlson und Rosie Knight sich tapfer dem Lärm der Stadt, dem Gewirr ihrer Stimmen und der niemals ruhenden Verwandlung der Welt.