ISOTOPE217 – THE UNSTABLE MOLECULE; AERIAL M :: Thrill Jockey/EFA; Domino/RTD
Die Kompositionen von Isotope 217 sind wie die Welt: groß, magisch und nicht greifbar. Erstaunlich, welche Assoziationsketten das Ensemble lostritt, ohne sich dabei zu verzetteln. Denn ihre Musik mag unfaßbar sein – rund ist sie auch. Eben wie die Welt Und wie das Soundtrack-artige „Prince Namor“, ein durcharrangiertes symphonisches Vibrato, aus dem Bernard Herrmann genauso herausklingt wie Charlie Mingus oder Gil Evans. „Taxi Driver“ und „Let My Children Hear The Music“ und „Porgy And Bess“ – alles drin.
Und noch viel mehr. Aus den sechs langen Stücken von „The Unstable Molecule“ schimmern Jazz-Erneuerer wie Herbie Hancock oder eben Mingus durch, doch die Einflüsse der I französischen Groupe des Six, von Minimalismus und Dub sind ebenfalls unüberhörbar. Das alles scheint den ansonsten in ihrer Heimatstadt Chicago kultivierten postrockistischen Spielereien so nah und doch so fern, denn in dem verdichteten Avant-Funk unserer Isotope 217 ist nicht die Spur Konstruiertheit auszumachen. Superernst, superleichtfüßig gehen sie zu Werke. Und die magischen Momente stellen sich ganz unvermittelt ein auf „The Unstable Molecular“, dieser, um in der Analogie zu bleiben, unstabilen Verbindung musikalischer Atome. Unheimlich, wie sich zum Beispiel in „La JeteC“ die Posaune von Sara P. Smith melodisch aus der elektronischen Grundierung dieses Stückes schält.
Isotope 217 kommen keineswegs aus dem Nichts. Einige Mitglieder stammen aus dem Chicago Underground Orchester, und die Schlagzeuger John Herndon sowie Dan Bitney, welche hier als musikalische Direktoren auftreten, arbeiten ansonsten bei Tortoise. Die bilden ja sowieso so was wie einen Pool für Künstler, die sich von dem Format Rock nichts mehr versprechen.
Auch Dave Pajo hat seinen Dienst bei Tortoise abgeleistet – und bei einer Handvoll weiterer Institutionen der experimentellen Popmusik. Von Slint bis Stereolab. Mit Aerial M, seinem Solo-Projekt, hält er jetzt inne und widmet sich der Kontemplation. Weshalb die Eröffnungsnummer auch zu Recht „Dazed And Awake“ betitelt ist. Die zaghafte Tonsetzung folgt hier ein weiteres Mal dem Prinzip des Traumwandelns: Sicher fließen Akkorde der Gitarre ihrem Ziel entgegen, ohne vorgegebene Bahnen einzuschlagen. Die Welt heben diese vollkommen selbstgenügsamen Kompositionen natürlich nicht aus den Angeln – zumal der von Formationen wie Gastr Del Sol oder Tortoise etablierten Kunst keine wesentlich neuen Aspekte hinzugefügt werden.
Aber in Nächten, in denen wirklich jedes Wort zuviel wäre, kann die Instrumentalmusik von Aerial M eine wunderbare Begleiterin sein.