James Ellroy – Ein amerikanischer Thriller :: Meister von Fakt und Fiktion

Der Krimi-Radikalist hat in seinem neusten Roman „Ein amerikanischer Thriller“ die Wahrheit mit der Halluzination vermischt. Ein Höhepunkt jagt den nächsten: Der zukünftige Präsident der Vereinigten Staaten, Jack Kennedy, vögelt mit einer Nutte, die ihm von einem Untergebenen des FBI-Bosses J. Edgar Hoover nicht ganz uneigennützig vermittelt wurde, und plaudert dabei über den Katholizimus seines Bruders Bobby. Der Geheimdienst hält sein Ohr ans ächzende Bettgestell, und die FBI-Wanzen wiederum werden von einem Handlanger des Gewerkschaftsbonzen Jimmy Hoffa angezapft. Industriemagnat Howard Hughes, auf du und du mit dem Union-Herrscher, darf schließlich später die Geschichte in einem seiner Skandalblätter verbraten.

Man muß nicht lange in James Ellroys neuem Roman „Ein amerikanischer Thriller“ lesen, um aufs Thema zu kommen: Hier will jeder die Macht, und natürlich ist jedes Mittel recht. Parteizugehörigkeit hat nichts damit zu tun, aufweicher Seite man steht, und auf welcher Seite des Gesetzes man steht, sagt nichts über die kriminelle Potenz aus. Es gibt sich nicht viel, ob du die Nummer eins im Rotlicht-Milieu bist oder der erste Mann im Staat. James Ellroy läßt sie alle antreten, all die großen Figuren der Zeitgeschichte: Der Gewerkschaftskoloß Jimmy Hoffa, der ein bißchen an einen Schlächter erinnert und seine Widersacher eigenhändig aus dem Weg schafft, kommt genauso vor wie J. Edgar Hoover, der ein Netz aus lauter Abhängigkeiten um sich gesponnen hat. Aber auch die verschiedenen Mitglieder des Kennedy-Clans haben ihre Auftritte. Schnell kapiert der Leser, daß es hier um das Spiel mit der Macht geht, und noch schneller kapiert er, daß die Frage nach Fakt und Fiktion für einen wie EUroy nebensächlich ist. Es darf gemein gegrinst werden über John F. Kennedy, der nach den ersten 50 Seiten aufgrund seiner Kopulationsgewohnheiten nur nur noch Zwei-Minuten-Jack gerufen wird.

Ellroy legt seine Geschichts-Halluzination als Spirale aus Intrigen und Korruption an, die sich mit der Ermordung Kennedys am 22. November 1963 in Dallas nicht wirklich ihrem Ende entgegengedreht hat. Denn eigentlich war es ein Tag wieder jeder andere. Nein, an diesem Tag hat Amerika keineswegs seine Unschuld verloren. Ellroy sagt: „Amerika war nie unschuldig. Unsere Unschuld ist bei der Überfahrt draufgegangen, ohne daß wir ihr nachgeweint hätten.“ Deshalb setzt er dem Mythos der Reinheit einen Alptraum aus Dekadenz und Dreck entgegen – legitim. Er muß nichts beweisen.

Auf Buchklappentexten wird der 48jährige immer als Nachkomme von Raymond Chandler und Dashiell Hämmert gepriesen, das aber ist Quatsch. Auch zwischen den Zeilen wird niemand aus seinen Romanen eine Moral lesen, und im Gegensatz zu den großen alten Herren der Pulp Fiction spricht Ellroy nicht mal im Nebensatz irgendjemandem seine Sympathie aus. Wer aber unbedingt Vergleiche braucht, nenne ihn einen Jim Thompson mit Hang zur Sophistication.

Der Amerikaner schreibt seinen Thriller, wie man sich einen Serienmörder bei der Arbeit vorstellt: in tiefer Erregung und doch ganz kaltschnäuzig. Er saut lustvoU als Provokateur rum und agiert präzise als Protokallant des Alptraums. Seine weit ausholenden Erzählstränge bündelt EUroy – erst in kurze Absätze, dann in kurze Kapitel. Nennen wir das Reportage oder Kolportage?

Dieses Werk hat viel mit der Logik des Erzählens und der Willkür des Erzählenden zu tun. Natürlich ließen sich zeitgeschichtliche Gründe dafür anführen, daß der Roman 1958 beginnt, aber vor allem dürfte das persönlich motiviert sein.

1958 hörte James Ellroy auf zu träumen. Am 22. Juni entdeckte man die Leiche seiner Mutter hinter einem Strauch in Los Angeles, der Täter wurde nie gefunden. Viele Jahre schlug sich Ellroy mit verschiedensten Jobs durch, erst in seinen Dreißigern begann er zu schreiben. So wurde das Trauma nicht aufgelöst, aber kanalisiert. 1987 veröffentlichte er „Die schwarze Dahlie“, inspiriert vom Mord an dem Starlet Elizabeth Short, der die Kriminologen bis heute beschäftigt Während nach zwei Jahren jetzt endlich der „Amerikanische Thriller“ auf deutsch veröffentlicht wurde, erscheint in Amerika schon der nächste: „My Dark Places“, die schmerzvolle Wiederaufnahme der Untersuchung des Mordes an seiner Mutter. James EUroy muß manisch über die Allgegenwärtigkeit des Verbrechens schreiben, weil er so etwas wie die Unschuld nicht kennt.

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