Jazz von Ralph Quinke

Die, die immer alles besser wissen, haben ihn der Einfallslosigkeit und des geistigen Diebstahls geziehen, ihn einen „heruntergekommenen Rachmaninow“ geschimpft. Dabei hat er wie kein anderer den Glanz und Glamour Amerikas in den 20er und 30er Jahren in Noten, in Melodien gefaßt, und vielen gilt er als der größte amerikanische Komponist des 20. Jahrhunderts: George Gershwin. Er schrieb die Begleitmusik zur nächtlichen Skyline von New York, und was wäre Woody Allens Film „Manhattan“ ohne Gershwins Musik? Gin süßes Nichts.

Heerscharen von Pop, Jazz- und Unterhaltungsmusikern haben sich an seinen Kompositionen zu schaffen gemacht, und das ist mal mehr, mal weniger gelungen. Fast völlig in die Hose gegangen ist es jetzt bei MARCUS ROBERTS, einem jungen schwarzen Pianisten aus dem Wynton-Marsalis-Stall, der auf seinem Album „Gershwin For Lovers“ (Columbia 477752 2) Gershwin-Songs fürs Hotel-Foyer konfektioniert hat. Diese CD gibt eine wunderbare Kulisse ab für eine Sheraton-Lobby in New York-Tokio-Paris-Milano. Sie stört dort ebenso wenig wie das Plätschern eines künstlichen Wasserfalls und weniger als das stete Klingeln der Mobiltelephone wichtigtuerischer Handelsvertreter.

Nur in „Summertime“ zeigt Marcus Roberts, was man aus Gershwin heute eigentlich machen kann, wie man das Flair von damals mit den Mitteln von heute zum Leben erwecken kann. „Wenn man Gershwins Musik essen könnte“, schreibt Michael Naura, „sie würde amerikanisch schmecken. Nach soulfood aus dem Süden, nach den irren Cocktails der eleganten Bars der Großstädte und nach einem Klacks von ehrlichem, billigen Ketchup.“ Inder Interpretation von Marcus Roberts würde sie nach Holland-Tomaten im Winter schmecken. 2,0

Ein bißchen nach Gen-Food schmeckt auch „Red Hot On Impulse“ (GRP 11512), zusammengestellt anläßlich der AIDS-Hilfe Aktion „Red, Hot And Cool“ aus Schätzen des „Impulse“-Labels, auf dem in den 60er Jahren Meilensteine des Jazz von John Coltrane, Archie Shepp und Pharoah Sanders erschienen waren: Mit einem untrüglichen Gespür für Fehlgriffe hat man entweder den Talmi aus dem kostbaren Impulse-Katalog ausgesucht – wie die schwülen Arrangements von ALICE COLTRANE – oder die wirklich guten Stücke immer dann, wenn sie am schönsten sind, einfach ausgeblendet Eine Schande. 2,0

Obwohl im Jazz seit mehr als 20 Jahren von der „Emanzipation des Baß“ die Rede ist, führen auch heute noch die meisten Bassisten ein Schattendasein als Rhythmus-Kulis. Nur wenige Baß-Stars stehen als Bandleader auch schon mal in der ersten Reihe, Charlie Haden, Dave Holland oder Eberhard Weber beispielsweise. Einer, dem längst schon auch ein Platz im Rampenlicht gebührt, ist der Amerikaner MARC JOHNSON. Der zupft seinen Kontrabaß unglaublich melodisch, läßt ihn so glasklar und rein klingen wie die Stimme eines Wiener Sängerknaben. In jedem Takt von „Magic Labyrinth“ (JMT 514 018) spürt man, daß ihm das Spielen großen Spaß macht. Mal treibt Magic Johnson seine beiden Partner Wolfgang Muthspiel (Gitarre) und Arto Tuncboyaciyan (Percussion) mit seinem Bass an wie mit einer Peitsche, mal webt er mit ihnen filigrane Dialoge. Rhythmisch forcierte, bluesige Stücke mixen die drei mit kammermusikalischen Miniaturen und folkloristischen Einsprengseln zu einer eigentümlichen, spannenden Melange. 3,5

Und noch ein Bassist, einer von ganz anderem Kaliber: Israel Lopez alias CACHAO. Der ist Kubaner, und wenn man seine CD „Master Sessions“ (Epic 477282 2) hört, mochte man das nächste Flugzeug nach Havanna besteigen, überwältigt von der Sehnsucht nach all den Kuba-Klischees, nach weißen Stränden, eiskalten Mojitos und rauschhaft durchtanzten Nächten. Cachao unternimmt eine Tour de Force durch die Geschichte der kubanischen Musik, mischt traditionelle Ritual-Songs mit köstlich kitschigen Melodien. Wozu brauchen wir noch Techno? Wozu Ecstasy? 3,5

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