Jesse Sykes And The Sweet Herafter :: Marble Son
Versöhnt Versponnenheit mit Kunstfertigkeit und Stilbrüchen
Der Gesang dieser Frau klingt ähnlich geschlechtslos wie einst das Gezeter von Thalia Zedek bei Come – und Jes- se Sykes versteht es überhaupt, sich den Anstrich des Androgynen zu geben, obwohl sie erkennbar eine (sehr hübsche) Frau ist. Sie singt Lyrik zwischen Sensibilität und Mystik, oft am Anfang von Stücken, die sechs oder zehn Minuten dauern – und in der Mitte manchmal neu beginnen.
Die psychdelische Kraft der Lieder stammt von Phil Wandschik, der mit Ryan Adams ehedem Whiskeytown gründete. The Sweet Herafter ist ein Trio, das von Wandschiks Gitarrenspiel dominiert wird: Jefferson Airplane, Quicksilver Messenger Service, Moby Grape gehören zu den seligen Bands, die hier liebevoll belehnt werden. Seit 2002 spielt das Ensemble aus Seattle zusammen; vier exzellente Alben (und einige EPs) sind bereits erschienen. „Marble Son“ ist eine Platte, die Hippie-Versponnenheit aufs Schönste mit Kunstfertigkeit und Stilbrüchen versöhnt: das einzige Instrumentalstück heißt „Weight Of Cancer“, und Sykes‘ Poesie ist von hermetischer Schönheit.
Atom Egoyans Film „The Sweet Hereafter“ handelt vordergründig von dem Unfall eines Schulbuses und greift von der Schuldfrage zu märchenartigen und transzendentalen Erlebnissen aus, er verlässt die Wirklichkeit eines verschneiten Städtchens und verliert sich in Traum und Schmerz. So muss man auch diese fantastische, wirbelnde, mäandrierende, zart-wuchtige Musik verstehen: als Sprung in die Mystik. (Fargo)
Arne Willander