Jesse Winchester – Jesse Winchester

Wer sein zweites Album nach einer so gut wie aussichtslosen Situation in einem Football-Match benennt (und genau das tat Jesse Winchester bei „Third Down, 110 To Go“), der muß wohl über ein gewisses Maß an trockenem Humor verfügen, offenbart damit aber auch zumindest eine kleine Neigung zum Defätismus. Grund genug hatte er ja. Während es Neil Young nach Los Angeles gezogen hatte, weil die Voraussetzungen in Kanada nicht so blendend waren, es zum Rockstar zu bringen, zog es Jesse Winchester – in Memphis aufgewachsen

– 1967 nach Montreal, weil er keine Lust hatte, in die Armee eingezogen und nach Vietnam geschickt zu werden. Dort entdeckte ihn Robbie Robertson und produzierte – Todd Rundgren am Mischpult als Ingenieur seine Debüt-LP. Für die beim neuen Ampex-Label zu unterschreiben, war ein fataler Fehler. Als einer der weltweit führenden Magnetbandhersteller gab die Firma das ganze Schallplatten-Projekt bald genauso rasch wieder auf wie hierzulande BASF. Da nützten auch die ganzen Lobeshymnen wenig. Erst mal verschwand die LP in der Konkursmasse, und es wäre schwachsinnig gewesen, die – auf die Gefahr hin, doch noch eingezogen zu werden – mit einer Tournee durch renommierte Ost- und Westküsten-Clubs bewerben zu wollen. Es konnte sie ja niemand kaufen.

Die Präsenz von Robbie Robertson und Levon Helm (auch bei den Sessions mitspielend) sorgte für eine gewisse Aufmerksamkeit. Aber letztlich wares natürlich die Qualität der Songs, die Kollegen überzeugte. Einer machte „Biloxi“ zum Country-Hit, andere nahmen etablierte Interpreten (Everly Brothers, Tim Hardin) auf, Lieder wie der „Brand New Tennessee Waltz“ hatten nun mal unüberhörbar Ohrwurmqualitäten. Eine ganze Reihe der Songs der zweiten LP auch. Trotz der Session-Profis klangen da aber viele wie handgemachte Home Recordings, ähnlich den neuerdings so in Mode gekommenen Wohnzimmer-Produktionen.

Geld machten Manager Albert Grossman und Jesse Winchester weniger durch die Platten als durch die Tatsache, daß Kollegen – Joan Baez, Jimmy Buffett, Emmylou Harris usw. – seine Songs aufnahmen und einige damit auch ausgewachsene Hits hatten. Das Debüt konnte schließlich doch wieder veröffentlicht werden, und vor gar nicht so vielen Jahren legte Castle eine erstaunlich gut überspielte „Anthology“ von Winchesters Karriere – das Debüt komplett auf der zweiten CD – vor. Jetzt bringt das Wounded Bird-Label alle wichtigen Platten neu. Auch das mal als Promo erschienene Official Bootleg, das dann unter dem Titel „Live At The…“ regulär veröffentlicht wurde.

Bei diesem wörtlich zu verstehenden Comeback (Jimmy Carter hatte kurz zuvor endlich eine Amnestie für die Wehrdienstverweigerer erlassen) spielte er aus unerfindlichen Gründen zwar leider so exzellente Songs wie „Biloxi“ oder den „Brand New Tennessee Waltz“ nicht. Als konzertante Werkschau ist das trotzdem eine sehr gute Gelegenheit, sich erstmals mit diesem Singer/Songwriter zu befassen.

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