Jimie Dale Gilmore – Braver Newer World

Jimmie Dale Gilmore nennt eine Stimme sein eigen, die ihresgleichen nicht mehr hat. Nur Roy Orbison konnte sein Organ so scheinbar ungebunden fliegen lassen, und Willie Nelson erreichte früher ein ähnlich schwebendes Timbre, in den seltenen Momenten, wenn er seinen Gesang hoch hinauszog, etwa gemeinsam mit Bill Monroe auf dessen „Sunset Trail“: high lonesome. Gilmore hat damit keine Mühe. Sein dran l kann ekstatisch sein wie ein texanischer Thunderstorm oder asketisch wie seine Gesichtszüge. Gilmore ist kein Songwriter, der singt. Er ist Sänger.

„Braver Newer World“, der Titel ist eher Understatement, entkleidet ihn aller Traditionalismen und schickt ihn in die musikalische Fremde. Sein Führer beim wagemutigen Crossover ist T-Bone Burnett, seines Zeichens selbst Texaner, ein Sehender, wenn es um Klangvisionen geht, und ein Wissender an den Reglern. Gilmores Stimme, Burnetts Produktionskünste und die besten Musiker, von Jim Keltner bis Jerry Scheff: Was könnte anderes dabei herauskommen als ein Meisterwerk?

Nun, ein Meisterwerk mit Macken. Wer „Blinding Sun“ kennt, Gilmores glühende Version des Mudhoney-Songs, und Musik von ähnlich manischer Intensität erwartet, wird enttäuscht sein. Wie schon Emmylous Lanoisierung zu schönem Schmus, schreibt Gilmores T-Bone-Transformation Wohlklang viel zu groß, ist der Sound zu sehr dem Fluidum angenehmer Schwingungen verpflichtet. Das Intro zu „Sally“ könnte in Enyas Esoterik münden, doch Gilmores Gesang vertreibt den New-Age-Geist, wie auch Emmylou Harris selten inniger sang als losgelöst inmitten luzider Soundblasen.

Einen leichten Hang zum Spirituellen und Spintisieren hatte Gilmore ohnehin schon immer, nur daß seine transzendentalen Neigungen stets den nötigen Dämpfer erhielten, ob von der singenden Säge Steve Wessons in seligen Flatlanders-Tagen oder später vom Barhocker-schwingenden, Two-Steptanzenden, Austin-verwurzelten Honky-Tonk-Beat.

Von diesem rechtschaffenen Anachronismus hat Burnett nur wenig hinübergerettet in seine brave new world. Der Titelsong ist fernöstlich angehaucht, „There She Goes“ ist schüchterner, skiffliger Rockabilly: Buddy Holly on Acid. Leicht psychedelisch klingt vieles, hybrid und schwer zu fassen. Joe Elys „Because Of The Wind“ ist merkwürdig schleppend, stur fast, aber unaufhaltsam. Das Backing zu Sam Philips‘ „Where Is Love Now“ ist spooky, „Long Long Time“ ist aus Gilmores Feder, zehrt jedoch nicht nur melodisch vom Folk-Fundamentalismus A. P. Carters. „Outside The Lines“ will aufgeklärter Rockismus sein, doch ist das ein Widerspruch in sich, den auch T-Bone nicht zu lösen vermag.

Unzweifelhafter Höhepunkt schließlich ist „Black Snake Moan“, das Blind Lemon Jefferson, 1897 geboren, vor mehr als 70 Jahren schrieb, oder besser: aus seinem „Black Snake Dream Blues“ herausdestillierte. Rablin‘ Jack Elliott spielte damit herum, und es Ist seine Fassung, die Gilmore zu dieser brillanten, beseelten Aufnahme trieb, die so archaisch ist wie quecksilbrig, so sanguinisch wie rauh. Hätte nur die Hälfte der anderen Cuts diese Klasse, wäre „Braver Newer World“ wahrhaftig ein Meilenstein geworden auf dem Weg zu einem neuen Rock-Code. So ist es beim Versuch geblieben. Weitere werden folgen, Texaner sind tough.

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