Joe Henry – Trampoline :: Mammoth/TIS

Es gibt Platten, die erschüttern das liebgewonnene Bild, das man sich von einem Künstler gemacht hatte, auf durchaus positive Art und Weise. „Trampoline“, das sechste Album von Joe Henry, ist so eine Platte – und für den in Los Angeles ansässigen Songwriter in etwa das, was „99,9 F“ für Suzanne Vega war: ein Aufbruch zu neuen Ufern, an denen selbst vertrautes Strandgut wohltuend fremd erscheint.

Auch wenn viele seiner Charaktere schon immer eher dem Konstruktionsprinzip eines Fellini-Films als autobiographisch motivierten Bekennerschwüren folgten, tat man Joe Henry bisher mit einem Fach im großen Roots-Schrank kein Unrecht. Doch statt den befreundeten Jayhawks, die ihn zuletzt begleiteten, taucht nun unter den Musikern plötzlich ein Name wie der des Helmet-Gitarristen Page Hamilton auf. Statt Traditional-Covers von Tom T. Hall und Merle Travis gibt es nun eine respektable Verneigung vor Sly Stone („Let Me Have It All“). Und die bisher konventionelle Instrumentierung bricht Henry jetzt verstärkt mit dem Einsatz einer ächzenden Pump Organ, mit orchestralen Schüben, pochender Percussion, vibrierenden Tremond-Gitarren oder einer dezent plazierten Posaune auf. So rücken auf „Trampoline“ Elemente ins Zentrum, die Henry zuvor fast komplett zu ignorieren schien: Groove und Sound.

„Ohio Air Show Plane Crash“, eine Momentaufnahme zweier Liebender kurz vor einem Flugzeugabsturz wächst allein aus einem trägen, zunächst unauffälligen, dann immer stärker insistierenden Rhythmus. „Flower Girl“, ein mit wenigen Strichen perfekt skizziertes Szenario von Isolation und Gewalt, wartet mit einem gespenstisch-irritierenden Soundbild auf, in dem sogar eine Opern-Stimme aus dem Off Akzente setzt. Der Titelsong setzt ganz auf einen reduzierten Beat und genau plazierte (Sound-) Effekte, genau wie die verloren-verzweifelte Slow-Motion-Studie „Medicine“. In diesem Umfeld muß dann selbst ein Track wie das folkige „Go With God (Topless Shoeshine)“ irgendwie anders klingen. Groove und Sound: Daraus schöpft Joe Henry auch eine neue Vision als Texter. In demselben Maße nämlich, in dem er den Blick über seine musikalischen Mittel schweifen läßt, reduziert er seine Worte aufs Notwendigste.

Und nähert sich dabei in den besten Songs, wozu unbedingt auch das Country-Lamento „I Was A Playboy“ gehört, dem Ideal, mit so wenig Text wie nötig so viel wie möglich zu sagen. Dieses “ Trampoline“ ist eines mit Bodenhaftung: Die Gedanken fliegen, doch niemand muß fürchten, wirklich abzuheben. Magical realism.

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