Pedro Almodóvar :: Julieta
Die Kamera verweilt auf der roten Seide des luftigen Morgenmantels. In der Detailaufnahme erinnert der Faltenwurf an eine Vulva. Schon mit der ersten Einstellung macht der spanische Regisseur Pedro Almodóvar klar, worum es in seinem neuen Film, „Julieta“, (mal wieder) geht: um die Weiblichkeit. Und vor allem um den Aspekt der Mutterliebe.
Julieta trifft zufällig eine Freundin ihrer Tochter, Antía, zu der sie, seit diese an ihrem 18. Geburtstag von zu Hause abgehauen ist, keinen Kontakt mehr hat. Aufgewühlt von dieser Begegnung beginnt sie über ihr Leben zu sinnieren und das Erlebte aufzuschreiben: die schicksalhafte erste Begegnung mit ihrem späteren Ehemann in einem Nachtzug, die Demenz ihrer Mutter und den Verlust ihrer Tochter, die sie anscheinend weniger kannte, als sie immer gedacht hatte.
Nach seiner halbherzigen Klamotte „Fliegende Liebende“ kehrt Almodóvar mit seinem 20. Film zu Drama und alter Form zurück. „Julieta“ zeigt die Kraft des Kinos, hier regiert die Larger-than-life-Ästhetik, jede Einstellung ist bis ins kleinste Detail durchkomponiert, jede Farbe leuchtet in ihrem eigenen Schicksal, und jeder Blick erzählt von den emotionalen Säulen der Existenz. Almodóvar verdichtet seine Geschichte mit schicksalhafter Symbolik und umschifft trotzdem gekonnt die steinigen Klippen des Pathos. Ihm gelingt es, eine fast banale Lebensgeschichte (Liebe, Schuld, Trauer, Einsamkeit) im Duktus einer griechischen Tragödie zu erzählen – Herzeleid, schwere See und emotionale Odyssee inklusive.
Als lose Vorlage für das Drehbuch dienten drei Kurzgeschichten der kanadischen Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro, die Almodóvar für die Biografie seiner Julieta miteinander verwoben hat. „Julieta“ springt zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her und bleibt dabei doch sehr klar. Hier ist trotz aller visuellen Opulenz nichts laut. „Julieta“ ist ein klassisches Drama, das, trotz reifer Gelassenheit, unverkennbar Almodóvars Handschrift trägt. Es markiert womöglich den Beginn des Alterswerks.