Kanye West :: My Beautiful Dark Twisted Fantasy

Kanye West zeigt dem schmusefeinen Entertainer Cee Lo Green, was im HipHop alles möglich ist.

Eigentlich komisch, dass schon so lange keiner mehr von HipHop-Krise gesprochen hat. Wurde früher zu Weihnachten hin gern gemacht – vielleicht nicht in einem Jahr, in dem Jay-Z bei Rock am Ring triumphierte, Eminem endlich wieder eine richtig gute Platte gemacht hat, Lil Waynes langer Arm sogar durch Gefängnisgitterstäbe ragte. Und selbst Uninteressierte von beflügelnden neuen Leuten wie Nicki Minaj, Tinie Tempah oder Gonjasufi gehört haben müssen.

Dem Ex-Goodie-Mob-Crewmitglied Cee Lo Green brachte der Sommer einen Sommerhit, allerdings keinen gerappten: Der Überdimensionale war schon bei Gnarls Barkley zum echten Sänger geworden, ernst im Timbre, heiter in der Präsentation – auch „Fuck You“, der Oberschunkler 2010, hatte einen Streifen Comedy eingewebt (inhaltlich liegt das Leck-mich-Lied ja nah bei „Zu spät“ von den Ärzten). Das zugehörige Album schiebt Cee Lo nun noch weiter in die Entertainer-Richtung: Einiges hier klingt schon zu schmusefein, findet keinen musikalischen Druck gegen die von Natur aus schmeichelnde Stimme Cee Los. Dafür landet der Künstler an anderen Stellen in der richtigen Mitte zwischen James Bond und Otis Redding, singt in „Bodies“ sogar eine verwirrte Mörderballade, in der seine heiseren Ausbrüche (ähnlich wie damals bei „Crazy“) zur Klage des Wahnsinnigen werden. Etwas Interesse an Soul-Pastiche braucht man allerdings, um die Platte zu mögen.

Bei Kanye West, dem anderen Schwergewicht, ist das unnötig. „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ wurde zum Release schon so einhellig zum Meisterwerk erklärt, dass es keinen Spaß mehr macht, dem noch mehr Lobpreis hinzuzufügen. Muss man aber: weil einem praktisch keine andere Platte einfällt, die unter so irrwitzigem öffentlichem (und persönlichem) Anspruchsdruck entstanden und trotzdem so fantastisch und hochinteressant geraten ist. Müde erinnert man sich an das Duell mit 50 Cent von 2007 – Ex-Titan Fifty ist längst die reine Lachnummer, während Kanye hier das bizarre Jonglierkunststück gemeistert hat, ein protziges Ding fürs Schaufenster erschaffen zu haben, das einen teilweise tief schlucken lässt mit seiner Abgründigkeit (ein schwarzverschleiertes Beziehungshöllen-Rap-Stück wie „Hell Of A Life“ ist mir in den letzten 20 Jahren nicht untergekommen). Und wie er dann mit der verhassten Auto-Tune-Stimme in „Runaway“ ein Gitarrensolo singt – das setzt den Standard, wie klug, körperlich, poppig, luxuriös und literarisch HipHop sein muss, wenn er heute noch so viel bedeuten will. Sehr guter Jahrgang. (universal / Warner)

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