Legenden der Leidenschaft – von Edward Zwick

von Edward Zwick ab 30. März

LEINWAND NEU IM KINO

Der alte Mann und der Bär. Auf der Lichtung eines Waldes ringen sie ums Leben. Ein letztes Mal blitzt das Messer auf, dringt das Brüllen durchs Unterholz, dann friert die Szene mit dem umschlungenen Paar zum verzerrten Standbild ein. Aus einem solchen Akt der Leidenschaft werden Legenden gegerbt. Karl May hat es darin zur Meisterschaft gebracht. Der Schriftsteller Jim Harrison ist nicht minder trivial-genial in seiner mythischen Poesie vom Menschen und Tier und dem Tier im Mann. In seinem Roman „Wolf, gerade erst von Mike Nichols mit Jack Nicholson verfilmt worden, wird ein Midlife-crisis-Macho vom Wolf gebissen und zum Werwolf unter Yuppies. Wiedererwachte Instinkte aktivieren den Überlebenstrieb, wodurch der Kerl sein Karrieretief bewältigt. Auch in „Legends Of The Fall“ hat Harrison das Sujet einer animalischen Seelenverwandtschaft angelegt. Rancher-Sohn Tristan stört nachts einen Bären. Das Tier verletzt ihn, Tristan bricht ihm eine Kralle aus der Tatze. Da stimmt der Indianer One Stab beschwörenden Singsang an und murmelt: „Alte Männer sagen, wenn ein Tier und ein Mann im Kampf ihr Blut vergießen, werden sie eins.“ How! So will es die Mär von der inneren Metamorphose. Nichols konnte in der Schauerstory „Wolf immerhin Naturfetischismus und die Evolution zur modernen Welt ironisch gegeneinander ausspielen. Edward Zwick aber hat die „Legenden der Leidenschaft“ als schaurige Sinnsuche und sakralen Sündenfall umgesetzt. Als Regisseur ist er dabei nicht nur an der um die Jahrhundertwende angesiedelte Geschichte gebunden. Seit Zwick in den 70er Jahren das Buch gelesen hat, ist er gefangen von der Leidenschaft, die Familienchronik des Colonel William Ludow verfilmen zu wollen. Und weil Legenden oft die letzte Leidenschaft alter Männer sind, erzählt der greise One Stab (Gordon Tbotoosis) mit aphoristischer Spiritualität seine Erinnerungen. Ludow (Anthony Hopkins) läßt sich in Montana, nahe den Rocky Mountains, nieder. Weil seine Ehefrau bald zurück nach Boston flüchtet, zieht er seine drei Söhne mit One Stab auf der Ranch groß: Alfred (Aidan Quinn), der älteste, ist ehrgeizig und eloquent; Samuel (Henry Thomas) ist der jüngste und unsicherste; und Tristan (Brad Pitt) ist Ludows Lieblingssohn und seit seiner Begegnung mit dem Bären like no other. Er hat die Wildnis im Herzen und die Zivilisation im Hinterkopf- halb Indianer, halb cooler Kuhhirte. Der Naturbursche streift oft tagelang durch die Wälder, vertraut mit indianischen Jagdmethoden und Riten, und schneidet erlegten Tieren das warme Herz heraus, „um ihren Geist zu befreien“. So beginnen Indianerfabeln. Vom ethnologischen Schnickschnack bis zur Shakespear’schen Tragödie ist es bei Zwick jedoch nicht weit. 1913, ein Bahnhof in der Prärie: Das Unheil erreicht das Herrenhaus kokett lächelnd mit dem Zug. Susannah (Julia Ormond), Samuels vornehme Verlobte, hebelt die Gefuhlsschlichtheit des Cowboy-Clans aus. Der alte Patriarch ist entzückt, wieder eine kultivierte Dame in seiner Hütte zu beherbergen. Alfred plustert sich zum Gecken auf. Susannah lernt den Umgang mit dem Lasso und das Hüten der Rinder. Dann ziehen die Brüder in den Ersten Weltkrieg. Samuel fällt Alfred buhlt daraufhin um Susannah, die aber gibt sich Tristan hin. Die Brüder entzweien sich. Alfred wird Banker, Tristan ein manischer Globetrotter und Susannah im Warten fast irre. Gedankensprünge, Jahreszeiten, Bilderschnipsel, Ewigkeit. Bis dahin läuft das epische Einerlei bereits hundert Minuten. In jeder Sequenz spuken Geister des Kinos. Doch Zwick bietet immer mehr auf: Rache, Haß, Intrigen, Verachtung, Alkoholschmuggel, Unfalltod, unerfüllte Begierde, Bruderfehde, Sex, Schießereien, Selbstmord, Senilität Zwick hatte zuvor Familienserien und das Weltkriegs-Drama „Glory“ gedreht. Das erste hat ihn verdorben, das zweite geprägt. Er überfrachtet seine Motive mit Männer-Psychologie und Metaphern, pathetischen Panoramen und Szenen der Schicksalhaftigkeit Die melodramatische Saga ist ein sagenhaftes Miß Verständnis. „Einige Menschen hören mit großer Klarheit auf ihre innere Stimme. Sie werden verrückt oder Legenden“, beginnt One Stab den Rückblick. Zwick hat auf seine innere Stimme gehört, sich die Sicht auf die Klarheit aber mit Klischees verstellt. Die Stargarde der Schauspieler folgt bedingungslos. Aidan Quinn spielt den haßerfüllten Schnösel und eifersüchtigen Liebhaber am differenziertesten. Anthony Hopkins starrt als verhärmter Vater vor sich hin und hat als halbseitig gelähmter Geront einen großen Auftritt. Das reicht dem Charakter-Mimen. Der Rollen-Charakter hätte mehr gebraucht. Der Verrückte ist diesmal Brad Pitt, die Levis-Legende. Das blondmähnige, blauäugige Mannsbild beherrscht jede Szene. Bereits in dem Psychopathen-Road-Movie „Kalifornia“ und der Blutsauger-Odyssee „Interview mit einem Vampir“ wühlte er sich lethargisch durch die Schizophrenie. Zwick hätte keinen besseren, da begrenzten Schauspieler für seine kitschig-kaputte Abenteuerfigur wählen können. Weil Tristan den Bären, sein Alter ego, nicht töten kann, kämpft er gegen sich selbst Ungestüm sucht er Erlösung in der Gefahr und den Tod in Einsamkeit. Ab weiße Front-Rothaut reitet er in Kriegsbemalung hinter die feindlichen Linien und skalpiert deutsche Soldaten. Als verwitterter Seebär segelt er nach Afrika. Er weint, wütet, windet sich – sein verkniffenes Gesicht aber bleibt leer, so wie alle Gesichter von Tristans gespaltenem Ich wie Scherenschnitte wirken. Brad Pitt weiß das. Es scheint, als warte er auf eine, seine Rolle. Die Zuschauer aber muß er gar nicht erst mit Schauspielkunst auf seine Seite ziehen. Er ist glänzend, denn in ihm lauert der Männlichkeitswahn. Frauen mögen ihn, Hemingway hätte ihn gemocht Susannah schnuppert an ihm, dann ist es um sie geschehen. Man wartet darauf, daß er knurrt Letzte Szene, 1963. Tristan, alt und einsam. Ein Bär fallt ihn an, er muß sich wehren. So erfüllt sich doch sein Schicksal. Aber Brad, der Besessene, und Bart, der Bär, der genervt durchs Dickicht dieses Films zottelt, sind weder Blutsbrüder noch Todfeinde. Der Bär hat nie gewollt. Er hatte keine Chance. Oliver Hüttmann

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