Leonard Cohen :: Songs From The Road
Ein Mann auf dem Draht
Der spät berufene Songschreiber unternahm 1972 eine Tournee durch Europa und Israel. Nach drei defätistischen Platten zwischen Eros, Religion und Tod war Leonard Cohen in Europa ein Kultstar, bloß das Wort gab es noch nicht. Der Regisseur Tony Palmer begleitete den kleinen Tross wie ein Reporter. Geduldig beantwortete Cohen vor Mikrofonen die immer gleichen Fragen nach Erfolg, Motivation, Gesang und Songschreiben: „Worüber möchten sie reden?“ – „Ich möchte gar nicht reden.“
Nach einem Konzert in Frankfurt sieht und hört man eine attraktive Blondine, die den scheuen Dichter zu einem Privatauftritt überreden möchte oder wenigstens zu einem künstlerischen Abendessen; Cohen windet sich, im Gewusel der Garderobe versteht die Deutsche die höflichen Ausflüchte nicht recht. Dann schwenkt die Kamera auf den Begleiter der Frau, der schon schweigend den Rückzug angetreten hat: Es ist der gut aussehende Sänger und Songschreiber Udo Jürgens, der ein bisschen verlegen lächelt. Und ein Helfer erklärt Cohen, diese Schauspielerin sei nicht mit dem Herrn liiert, er sei ein „sailor“. Weil der Sound schlecht ist, will der verzagte Künstler den Zuschauern ihr Eintrittsgeld erstatten; tatsächlich drückt er ein paar Nörglern die Dollarscheine in die Hand. Solche Szenen gibt es für kein Geld der Welt.
„Songs From The Road“ ist eher eine Begleitgabe als ein Nachklapp, denn die große Abschiedstournee des weisen Gurus ist ja noch nicht beendet. Zwölf Songs aus zwölf Konzerten in zwölf Städten in den Jahren 2008 und 2009 wurden hier zusammengestellt, was gar nicht auffällt, denn Hut und Anzug bleiben ebenso gleich wie die Musiker und die Interpretationen. „Lover Lover Lover“ wurde erst spät ins Programm genommen; „That Don’t Make It Junk“ ist eine gelinde Überraschung; sonst hören wir „Chelsea Hotel No. 2“, „Suzanne“, „Avalanche“, „Bird On The Wire“, „Hallelujah“, „The Partisan“, „Closing Time“. Die Hinter-der-Bühne-Dokumentation von Lorca Cohen zeigt sehr freundlich Gitarren-Techniker und Musiker. Vater Cohen eilt schnell in die Tiefgarage und steigt in den Jeep: Er will seine Ruhe haben, heute wie 1972. (Voiceprint; Sony) arne Willander
Ein Stadtporträt und fast ein Science-Fiction-Film: Julien Temple zeigt das englische Canvey Island, das in der Themse-Mündung und unter dem Meeresspiegel liegt. Öl-Raffinerien, Pipelines, trostlose Backsteinhäuser und Urlauberbuden beherrschen die seltsam unwirkliche Szenerie. In Canvey begannen in den 70er-Jahren ein paar wilde Musiker als Dr. Feelgood ihre Karriere, und vor Temples Kamera erinnern sie sich nun an die Karriere im Rock’n’Roll – und erzählen damit ebenso über das England im Spätindustrialismus und Arbeitslosigkeit, Heimatverbundenheit und Beharrungsvermögen, Kneipenkultur und Suff. Die Topografie könnte die Oberfläche eines fremden Planeten sein – ein wüstes Land, über eine Brücke verbunden mit der Grafschaft Essex. Dr. Feelgood: Das ist wahrhaft schwarzer britischer Humor. (soulfood) Arne willander
D. A. Pennebaker hatte bereits legendäre Dokumentationen über Bob Dylan in England, über den deutschen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und das Rock’n’Roll-Festival in Toronto gedreht. Mit dem deutschen Sänger Marius Müller-Westernhagen kam 1995 eine Entität hinzu, die sozusagen Dylan, Strauß und Rock’n’Roll-Festival zugleich war. Berauscht von seiner eigenen Großartigkeit, ließ sich der leidende Künstler als eingebildeten Tyrannen und wimmerndes Mimöschen zeigen, der Interviews umschreibt, sich vor dem Spiegel in Ekstase bringt und sich wie ein Bub mit Rotznase von seiner Frau trösten lässt, weil ihn alle Welt missversteht. Nach dem Konzert, im Auto auf der dunklen Straße, hört er noch immer den Jubel der Massen und spielt, wie er es nicht fassen kann. Eine absurde, decouvrierende Farce. (warner) arne willander
Welche Nacht wäre geeigneter für eine Jane’s-Addiction-Wiedervereinigung als Halloween? Und welche Gelegenheit günstiger als das „Voodoo Experience“-Festival in New Orleans? Die Alternative-Pioniere waren immer großartig verrückt oder irre nervig, je nach Form. 2009 gruben die vier Gründungsmitglieder also – nach 18 Jahren – noch einmal die alten Hits aus, um zu sehen, ob sich auch die alte Magie noch einmal einstellt. Perry Farrell gibt den flamboyanten Zeremonienmeister und krächzt von „Been Caught Stealing“ bis „Jane Says“ alles mit so viel Schwung, dass man manch falschen Ton gern überhört, während Dave Navarro wieder den lässigen Gitarren-Sexgott spielt. Es groovt und knallt, zum Abschluss wird wild getrommelt, Farrell tanzt wie in Trance. Ein gewaltiges Spektakel, natürlich reine Nostalgie. (Eagle vision) birgit fuss