Daniel Kahn & The Painted Bird – Berlin, Kaffee Burger

„Die lange Nacht des gebrauchten Juden“ war eine Marathonlesung von Maxim Billers neuem Roman in Kreuzberg überschrieben. 180 Seiten in fünf Stunden! Dazwischen spielte Daniel Kahn, ein in Berlin lebender jüdischer Songwriter aus Detroit, seine von Klezmer, Jazz und Punk inspirierten Lieder. Doch er fand sich nicht ab mit der ihm zugedachten Rolle als Ambientegeber und Pausenclown. Dafür waren seine Songs zu widerständig, seine Kommentare zu bissig. Als er in „Nakam“ einen jüdischen Racheplan von 1945 besingt und junge linksbewegte Kita-Mütter aus Schuldgefühl, Selbsthass und ihrem Verständnis von political correctness irritiert lächelnd mitsangen, dass nun „six million Germans“ zu töten seien, hatte der Abend seinen Höhepunkt erreicht.

Zwei Wochen später ist Kahns Band, The Painted Bird, aus aller Welt für Plattenaufnahmen nach Berlin angereist und spielt im zweiten Wohnzimmer ihres Sängers, dem Kaffee Burger, alte und neue Stücke. Kahn, im schwarzen Anzug mit Hut und Kajal um die Augen, beginnt zunächst solo, singt zu den Klängen einer Spieluhr: „Lili Marken“ – auf Jiddisch. Eine subversive Finte, die dem Russendisko-geschulten Publikum wohl entgeht.

Egal, es sind junge Menschen, schöne Menschen, einige mit allerhand Metall im Gesicht. Vor mir wippt ein türkisfarbener Pferdeschwanz, in den man sich während Kahns anrührendem „Ruinen vom Görlitzer Park“ hätte verlieben können, wenn einen nicht die Zeile „And you could be the ewige jew“ wieder herausgeholt hätte aus den Träumereien. Nach und nach betreten Bass, Klarinette, Fiddle, Posaune und Pauke die Bühne. Über Brechts Frage „Wovon lebt der Mensch?“ eröffnet die Band ihr hintersinniges Tanzvergnügen. Alles hopst und trinkt und Kahn singt von Sozialismus und Revolution, Whiskey und Zion, innerer Emigration und Parasitentum. Am Ende steht das jiddische Volkslied „Dem Milners Trern“. Man kennt es aus dem Coen-Film „A Serious Man“. Auch Daniel Kahn, Moralist und Anarchist zugleich, meint alles ernst.

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