Leonard Cohen :: von Anthony Reynolds
Profanes Leben
Der Waliser Anthony Reynolds ist hauptberuflich Poet, war als Musiker einst Mitglied der zu melancholischem Pomp neigenden Gruppe Jack, und schreibt nebenbei Musiker-Biografien. Über Scott Walker und Jeff Buckley ließ er sich bereits aus, wenig lesenswert, mit seiner Betrachtung des Lebens von Laughing Len, die den Untertitel „A Remarkable Life“ trägt, ist ihm jedoch gelungen, woran frühere Biografen scheiterten: die Menschwerdung des Hl. Leonard, nicht aus sakrilegischer Skepsis oder aus Mangel an Respekt, sondern weil Reynolds die Erfahrungen zahlreicher Bekannter Cohens anzapfte und so auch Profanitäten des Alltags anspricht.
Anders als etwa Ira B. Nadel in seiner durchaus verdienstvollen, indes „autorisierten“, von Cohen großmütig tolerierten Lebensbeschreibung. Auch Nadel unterschlägt nicht den eitlen, selbstmitleidigen, unsicheren Dichter, bemüht sich aber um psychologisches Verständnis, während Reynolds sich nicht darum schert, wie sich Cohen in bestimmten Situationen gefühlt haben mag, wie dekadente Versuchungen oder asketische Phasen sein Seelenheil berührten.
Aus der Not, keine Audienz beim Biografierten zu bekommen, machtReynolds kurzerhand eine Tugend. Man erfahre ja in Interviews auch nicht unbedingt immer die Wahrheit, im Übrigen interessiere ihn die Rezeption des Künstlers mehr als dessen Befindlichkeiten. Eine durchsichtige Schutzbehauptung, doch führt diese Ausflucht erstaunlicherweise nicht in eine Sackgasse. Reynolds spiegelt den Künstler in den Augen von Freunden und sein Werk in den Augen von Fans. Mehr Wirkungsgeschichte als Werkschau mithin, entwickelt das Buch dennoch die eine oder andere schlüssige Sicht auf ein Oeuvre, das nicht selten willentlich verrätselt scheint und vor dessen Hintergrund das reale Leben seines Schöpfers bei allem Ereignisreichtum und aller Schicksalsschwere zu schrumpfen droht. „The Wholly Profane Life Of Leonard Cohen“ wollte Reynolds sein Buch eigentlich nennen, doch legte der Verlag sein Veto ein.
Bemerkenswerterweise findet Reynolds viel Interessantes in Cohens Spätwerk, rechtfertigt die Laptop-Produktionen und synthetischen Soundscapes als Maßnahmen der Verfremdung, beklagt aber gleichzeitig den Einsatz von Casio-Keyboards auf manchen Tracks der 80er Jahre. Die positive Charakterisierung der mit Sharon Robinsons Hilfe entstandenen Platten mag dem Umstand geschuldet sein, dass die Lady ausführlich und zur Freude des Autors überaus charmant Rede und Antwort stand. Sowie dem Handicap, dass Reynolds überhaupt erst spät auf Cohen kam. Nur einmal sah er ihn live, wurde nie gefesselt vom Performer, dessen kniefällige Demutsgesten auf den letzten Entschuldungstourneen auch für Bewunderer schwer zu ertragen waren, rund 40 Jahre nach der konfrontativen Herausforderung im Berliner Sportpalast: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ (omnibus, ca. 35 Euro)
It’s Lovely To Be Here ***¿
von James Yorkston
„The Touring Diaries Of A Scottish Gent“ untertitelt der Folk-Fahrensmann aus dem Kingdom Fife seine mal launige, meist indes lustige Reportage. Naturgemäß anekdotenlastig, erspart uns Yorkstons erster literarischer Versuch nicht gewisse Längen und Wiederholungen, bewirkt damit aber, dass an keiner Stelle der Verdacht aufkommt, das abendliche Auftreten in Clubs oder Pubs sei irgendwie unbeschwert.Schon das Ausfindigmachen veganer Verpflegung kann Nerven kosten. (Domino press, ca. 15 Euro)
Friday On My Mind ****¿
von Don Hughes
Sprachlich bisweilen holprig, dafür mit Leidenschaft und Hingabe geschrieben, entführt uns die Lebensbeichte eines Mod ins London der Sechziger. Hughes feiert eine Jugend zwischen Tamla und Radio Caroline, Gigs und Plattenkauf, Stil und Gefühl. Abgrenzungsrituale und Gewalt, latenter Rassismus und das Erstarken der Skinheads: alles durchlebt und durchlitten. So unschlagbar cool es war, Mod zu sein, gefahrlos war es nicht. (armadillo, ca. 22 Euro)
von Tim Brown
Das Schindluder, das heute mit Northern Soul getrieben wird, die fadenscheinigen Compilations, die Allnighter mit CD-Beschallung, ein extrem volatiler, manipulierter Sammlermarkt: All diese Travestien zehren von einem Mythos, den Tim Brown hier auf seinen realen Kern reduziert. Seine Chronik des in den 70ern stilbestimmenden Ballrooms in Wigan sowie verwandter Venues in Englands Norden geht chronologisch vor, klärt auf, porträtiert DJs und Labels, Goldgräber und Schrotthändler, autoritativ. (outta sight, 40 euro)