Loss Of Sexual Innocence von Mike Figgis :: ab 29. April
Die Liebe, das Schicksal, der Tod: um diese Säulen des Lebens herum winden sich die Filme von Figgis, und zwar recht eigentlich. Im Delirium „Leaving Las Vegas“ rettet auch Liebe einen Mann nicht davor, sich zu Tode zu saufen. In dem Drama „One Night Stand“ treffen sich am Sterbebett eines Freundes zwei Menschen wieder, die mal eine Affaire hatten. Mit „Loss Of Sexual Innocence“ hat der Engländer jetzt ein eher essayistisches Werk gedreht, das nicht mehr ganz letzte Fragen der Menschheit bündelt.
Die Geschichte vom Kameramann Nie (Julian Sands), in dessen Ehe die Leidenschaft erkaltet ist, dient als Nadelöhr, durch das Figgis chronologisch gebrochene, lose Episodenfaden zieht: Erinnerungsschübe, schwüle Träume, Momentaufnahmen. Dazwischen erzählt er in impressionistischen Farben sukzessive die Schöpfungsgeschichte. Adam und Eva, ein Schwarzer und eine Weiße, entsteigen nacheinander einem Teich, tapsen nackt durch die Natur, naschen von einer Frucht und entdecken die Lust. Zuletzt legte er noch eine Nebenhandlung an, die als Rückblende beginnt, dann parallel zu Nies Gegenwart verläuft und schließlich in ihr aufgeht: Zwei Zwillingsschwestern (Saffron Burrows), nach ihrer Geburt getrennt worden, begegnen sich zufällig auf dem Flughafen und blicken sich für Sekunden an, bevor sie sich wieder aus den Augen verlieren.
Zufällig ist nichts an dieser Collage, die auf dem ersten Blick oberflächlich und fragmentarisch wirkt, auch nicht Nics Beruf. Adam, Eva und die Zwillinge, Geburt und Ursprung allen Lebens, Sex und Wasser, Tod in der Wüste, das Schweigen des Ehepaares, ein sprachliches Mißverständnis mit Nomaden – diese und noch mehr Analogien greifen stets ineinander, bilden eine mäandernde Metaphorik. Die wenigen Dialoge funktionieren wie Untertitel im Stummfilm, in dem die Bilder ja fast alles sagen, die aber ebenso wenig unschuldig sind wie die begehrlichen Blicke von Figgis jetzt Hier ist alles Blick. Autobiographisch blickt er zurück auf die ersten sexuellen Erlebnisse, wie er als Knabe in Kenia einen senilen weißen Lehrer beobachtet, der einem schwarzen Mädchen in Strapsen beim Vorlesen zusieht Mit Spielkameraden sieht er erstmals eine Leiche. In der Pubertät muß er mit ansehen, wie ihn seine erste Freundin am Begräbnistag ihres Vaters betrügt. Eine Blinde gerät in Panik, als mehrere Rüden ihre Hündin bedrängen. Oder die langbeinige Blondine, die in einem aufreizenden Kleid am Bahnhof mit einem Mann flirtet. Der Zug hält, und in der Umarmung ihre Lieben werfen beide sich einen letzten Blick zu.
Am Schluß werden Adam und Eva von Uniformierten mit Hunden und Helikoptern aus ihrem Garten Eden vertrieben – der sich als Park entpuppt, vor dessem Tor lüsternde Gaffer und Paparazzi warten. Der Blick ist trügerisch, und Figgis Ästhetik gemahnt daher an erotisiernde und pseudo-sinnstiftende Reklamerspots unserer Zeit Sein Konvolut ist kein Kulturpessimismus, sondern selbst ziemlich sinnlich, ein Dokument, das etliche Deutungen zuläßt, allerdings eine Schlüsselszene anbietet Als Kameramann Nie mit einem der Zwillinge schläft, der Freundin eines Tontechnikers, verweigert er den Blick. Es ist nur zu hören über das Mikrophon des Betrogenen, der frühmorgens durch die Natur streift.
Wie man es betrachtet (oder nicht): Gegen Liebe, Schicksal und Tod hatte Unschuld nie eine Chance.