Madonna

Music

(erschienen in ROLLING STONE 10/2000):

Dieser Cowboyhut soll auch schon wieder out sein. Vielleicht dudelt „Music“ bereits zu lange auf MTV. Der Hut ist diesmal der Clou, dazu ein Baby, aber das hatten wir schon bei „Ray Of Light“, da war es allerdings nicht mehr so schrumpelig. Madonna, von der eine neue Platte eigentlich noch gar nicht notwendig war, geschweige denn erwartet, ist wieder tätig geworden. Erst „American Pie“ und der sehr lose dazugehörige Film mit dem besten Freund, jetzt das überhaupt nicht dazugehörige Album, das schlicht nach dem benannt ist, was drauf sein soll. Musik also, und sonst nichts. Und die zum guten Teil von Mirwais, dessen Vorleben bis vor kurzem niemand bekannt war, der hier aber an den neuralgischen Punkten mit seiner Sound-Signatur, wie wir das heute nennen wollen, eingreift.

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„Music“, die Single und das Video, bilden den Gegenentwurf zur schwarzweißen Salzsee- und Tränen-Ästhetik von „Frozen“. Wie zu schönsten „Erotica“-Zeiten wirft sich Madonna ins pralle Leben, besucht das Spielkasino und ergötzt sich an Männlein wie Weiblein. Da muss nichts mehr diskutiert werden: So richtig ist sie gar nicht mehr dabei, ist eher Puffmutter als Lottermädchen, präsidiert der Zeremonie, die in der Limousine schnell wieder endet. Ein Comic-Alter ego und ein Komiker als Chauffeur sorgen für narrativen Schub. Das ist ja ein echter Film!

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„Music“ beginnt mit diesem Mirwais-Zauber. Auch „I Deserve It“, eine liebliche Ballade und regelrecht gesungen, atmet das Mirwais-Feeling, das Französische, die Eleganz und das Luxuriöse. Madonna betet für einen womöglich verflossenen Geliebten. William Orbit, als Produzent gewissermaßen der Liebhaber von ehedem, setzte „Runaway Lover“ in Szene, einen entsetzlich stumpfen Dancefloor-Stomper mit der Zeile „It doesn’t pay to be a runaway lover“. Der Orbit-Sound pulsiert und bäumt sich auf, aber so banal war das Duo noch selten. Keine Zukunft für diese Verbindung. „Amazing“ ist sogar noch schlimmer, dudelt in mittlerer Gangart vor sich hin: Kontemplation ohne irgendeinen Gehalt, Kontemplation a la Madonna. Wir besinnen uns, also sind wir.

Gut, dass Mirwais mit unheimlichen Knautschgeräuschen, wahrscheinlich künstlichen Streichern und allem romantischen Bombast „Paradise (Not For Me“) produzierte: Madonna als Diva, die sich an ihre Jugend nicht mehr erinnern kann, fast Gloria Swanson in „Boulevard der Dämmerung“, aber noch immer mondän und wissend. Ein bisschen larmoyant auch schon. Ach, man fühlt sich wie ein Wal und möchte gar nicht mehr ausgehen! Von Sex zu schweigen. „impressive Instant“ fiept wie ein Flipperautomat, Sirenen jaulen verzerrt, „bamba“ reimt sich auf „samba“, es ist Trance – und wieder Mirwais. „Nobody’s Perfect“ sagt uns nichts Neues, ist elegisch, dabei stört ein hektischer, nebenher laufender Rhythmus. Ansonsten Lebertran, wie Madonna ihn zwischendurch öfter verabreicht.

„Don’t Tell Me“ hat Madonna mit Joe Henry geschrieben, einem glücklosen, aber begabten Songwriter, der zufällig mit der Schwester der Matrone verheiratet ist. Henry hat nicht mal mehr einen Plattenvertrag, aber Kenner erinnern sich an seine delikaten, schwermütigen Country-Folk-Platten, die so gar nichts mit der Schwägerin zu tun hatten. Die fand das wohl auch und hat Henrys Gitarrenmotiv von Mirwais‘ Schlagwerk-Programm und Geräusche-Konsole umspülen lasen, auf dass der arme Mann wieder nicht recht zur Geltung kommt. Singen muss er natürlich auch nicht.

Lieblingslied ist diesmal das famose, ganz zarte und melodische „Gone“, eine Art Reprise von K. D. Langs „Constant Craving“, das Rock-Connaisseure als „Anybody Seen My Baby“ von den Rolling Stones kennen. Kaum zu fassen, wie Madonna hier zur Emmylou Harris wird, gar an so bittersüße Oden wie die von Del Amitri erinnert. Kein Schmachtfetzen, doch herzzerreißend und unprätenziös. Und Madonna ganz ohne Anstrengung. „Gone“. Drei Minuten, alles gesagt.

Das muss bei Madonnas Label nach Anhören einiges Geräusper und Ohrenkratzen gegeben haben, eine milde Verwirrung, Ratlosigkeit und die Suche nach zwei, drei, vier weiteren Hits.

Klar, Mirwais ist halt Franzmann, und Orbit hat keine Wunderwaffe mehr im Köcher. Aber ein bisschen überraschender, ambitionierter, vielleicht auch trashiger, housiger, jazziger, 2steppiger, boutiquenfreundlicher hätte es sein können. Aber kauft Madonna in der Boutique? Sie hat der Welt noch immer gezeigt, welche Musik zu den Fummeln passt.