Marah – Angels Of Destruction :: Ein Triumph über den Zeitgeist, zunächst als Triple-Album geplant

Weil David Bielanko bei den Anonymen Alkoholikern war und jetzt nicht mehr trinkt, wird man in Zukunft das allzu rauschbezogene Vokabular aus den Marah-Texten heraushalten müssen. Das ist für die Rezeption der Band aus Philadelphia/New York kein so radikaler Einschnitt wie für den Sänger selbst, aber ein Einschnitt ist es doch. Ab jetzt wird man das Lallen, die torkelnd feierlichen Hymnen und das andauernde romantische Chaos also nicht mehr dem Suff zuschreiben können, sondern als grundsätzlichen Wesensausdruck der Bielanko-Brüder begreifen. Ein Erkenntnisgewinn, keine Frage.

Bielanko sagt übrigens, er habe den Alkoholismus durch Arbeitswut ersetzt — „Angel Oj Destruction“ sei zunächst als Triple-Album(!) konzipiert gewesen, allein das knappe Budget habe Schlimmeres verhindert. Andererseits: Ein richtiges Triple-Album gab es lange nicht mehr. Und hört man die übriggebliebenen elf Songs plus hidden track, glaubt manglatt an das Wunder— dass Marah auch drei Alben ohne schlimmere Einbrüche hätten abliefern könnten.

„Angels Of Destruction“ ist ein Triumph. Über die Beschränktheit des Zeitgeistes, über die vermeintlichen Regeln der modernen Musikproduktion, über die formatierten Attitüden hipper Emporkömmlinge schließlich. Gerät der Opener „Coughing Up Blood“ noch eine Spur fad, belegen Marah schon mit den nächsten paar Liedern — dem krächzenden Beat „Old Time Tickin‘ Away“, dem wackeligen Mondschein-Folk „Angels On A Passing Train“, dem Elvis Costello nachempfindenden Rock’n’Roll „Wild West Love Song“ —, mit welcher Macht sie ihren einst zwischen Replacements-Rotzigkeit, weißem Soul und Springsteen-Romantik aufgestellten Klassizismus zur vollen Reife gebracht haben. Es schwingt eine wahrhaftes Gefühl in diesen rückhaltlos anstürmenden Liedern, in denen ein großes Herz schlägt und kein Zentimeter dem Kalkül preisgegeben wird.

Ein Höhepunkt ist „Santos De Madera“, ein Indie-Folkrock-Lied im Sinne der alten Indie-Folkrock-Lieder, wie sie eben die Replacements gemacht haben, aber auch britische Bands ähnlicher Gesinnung. Das Akkordeon sehnt sich weit weg, ein Lalala-Chor jubiliert, das ganze windschiefe Arrangement ist von einer ergreifenden Naivität. Vorher hatte das bewusst Beatles-artige ,Jesus In The Templc“ den zweiten, deutlich akustisch geprägten Teil des Albums eröffnet. Es folgen das wehmütige Pub-Lied „Songbirds“, der wie ein INXS-Demo klingende Titel-Track und „Can’t Take It With You…“, das zu einem breiten Bläsersatz gemütlich schunkelt.

Bevor Sie es also wieder von Stephen King, Nick Hornby oder Bruce Springsteen hören, hören Sie es von uns: Marah sind eine fabelhafte Band, und sie haben wieder eine fabelhafte Platte gemacht.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates