Massive Attack-Protection

Ruhe, Langsamkeit, die Dinge kommen lassen – alles gut und schön. Aber würde man deswegen in eine Disco gehen? Auch die Popmusik hat schließlich ihre Beschleunigungsgesetze, und die Parole „Schneller, weiter“ gilt nicht nur für Techno, sondern für das meiste, das „modern“ sein will. Als Massive Attack aus Bristol vor drei Jahren ihr Debüt „Blue Lines“ veröffentlichten, brachen sie diese Gesetze und stellten gleich alles auf den Kopf. Die Musik war gleichzeitig ruhig und bewegend, gelassen und aufgekratzt. Damit tauchten sie den Tanzboden in ein tiefes dunkles Blau – lange vor Trance. Massive Attack waren ein Wunder. Und was sind sie heute?

Leider ist Sängerin Shara Nelson, deren Stimme die „Blue Lines“ so funkeln ließ, nicht mehr dabei. Sie arbeitet an einer Solo-Karriere. Nun teilen sich zwei Frauen ihre Arbeit. Tracey Thorn von Everything But The Girl und die Independent-Jazz-Diseuse Nicolette.

Der Opener „Protection“ läuft schleppend an und wirkt wie eine Kamerafahrt durch die Wüste. So läuft die ganze Platte: noch ruhiger, noch konsequenter in Zeitlupe als vor drei Jahren. Tracey Thorn singt das Stück mit warmem Ton, doch ohne die zitternden Untertöne, die Shara Nelson auszeichneten. Es ist ein schmaler Grat zwischen Gelassenheit und Langeweile.

Wesentlich besser zum Massive-Attack-Sound paßt der der Gesang von Nicolette: Eine hochgradig sensitive Stimme über schweren Beats – vor allem der Song „Three“ profitiert von dieser Mischung. Ansonsten bietet die Platte auch Instrumentals wie „Weather Storm“ mit dem glasklaren Piano von Craig Armstrong sowie eine – leider vollkommen mißlungene – Cover-Version: Horace Andy singt „Light My Fire“ in schwerer Trance, wie mit Bleifüßen – so lahm, daß das Feuer partout keine Chance hat.

Ein Lied, das so existentiell nachschwingt wie seinerzeit „Unfinished Sympathy“, ist auf „Protection“ nicht zu finden. Aber die Entspannten aus Bristol folgen den blauen Linien weiter. Souverän und konsequent.

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