Maurenbrecher – Hoffnung für alle / Heinz Rudolf Kunze – Räuberzivil
Natürlich ist es ungerecht, die Platten dieser beiden Songschreiber gemeinsam zu besprechen, weil sie zufällig zur selben Zeit erscheinen. Andererseits werden sie in den sogenannten Feuilletons eher gar nicht rezensiert. Das passt zu einigen Sottisen auf dem Album von Heinz Rudolf Kunze, an deren Ende er fragt, weshalb eigentlich alles immer beschissener werden muss nur wir selbst nicht.
Aber beginnen wir mit Manfred Maurenbrecher, der ein kurzes Album aufnehmen wollte, woraufhin er Stücke für zwei Platten schrieb. Die erste ist süffig, melodisch, großzügig arrangiert, mit Tom-Waits-Anklängen, Sarkasmus, Sentiments und etwas, das man früher „Zeitkritik“ nannte und das heute die Beute der „Comedy“ geworden ist. Der ironische Blues „Off-Roader“ bollert mit jubilierenden Bläsern: „Ich fahr n Off-Roader/ Range Rover, Sports Utility vehicle, s-u-v, Hummer/ Ich fahr n Range Rover, Pathfinder, Freizeitpanzer, oder auch genannt: Todeskammer.“ Nach Art von „Peter Gunn“ poltert „Bad Bank“ vitriolisch: „Das neueste Wunder auf der Welt nach sieben andern alten ist die Bad Bank/ Die macht die Miesen von den Reichen allen andern Menschen auf der schönen weiten Welt zum Geschenk/ Wir leben alle in der Bad Bank.“ Es gibt die kleine Rumba „Stein im Schuh“ mit Schubidu und langem Maurenbrecher-Rezitativ, und es gibt das ausführliche, melancholische Lamento-zu-Klavier-und-Wurlitzer-Orgel „Sonntag“.
Das ist also schon mehr als genug – doch die Stücke der zweiten Platte, vorwiegend um das Klavier arrangiert, sind noch besser. „Agit-Prop 08“: „Dies hier ist übrigens die Rückkehr des Agitpropsongs/ Von zwei Generationen Journalisten für total tot erklärt und mordspeinlich die jetzt alle wahrscheinlich bald ihr bisschen clever angelegtes Geld verlieren werden/ Und deshalb wahrscheinlich bald viel radikaler reden werden als ich gerade.“ In „Neo-Pädagogik“ spricht ein Vater belehrend auf sein unschuldiges Kind ein; Maurenbrecher selbst erkennt hier den Zusammenschluss von Franz Josef Degenhardt und Randy Newman. „Komm, wir helfen dem Klima“ ist das eine witzige Lied zu diesem schrecklichen Thema, und aus Nick Lowes „Indian Queens“ hat der Dichter eine Schnurre gemacht: „Ich geh zurück“ – nach Dithmarschen nämlich, aber diesen Zusatz hat Lowes Verlag nicht erlaubt. „Schwarze Katze“ wurde inspiriert von einer Reise in die Gebiete jenseits der Oder, die Maurenbrecher mit seinem damals fünfjährigen Sohn unternahm – die Tristesse der alten, feuchten Häuser, der Sumpflandschaft, der Schmugglerwege. Und „Zu früh erschöpft“ endet mit einem wunderbar pathetischen Bläserchor.
Die beste Songschreiber-Platte des Jahres – nicht bloß in deutscher Sprache.
Heinz Rudolf Kunze legt ebenfalls ein Doppel-Album vor, das indes zugleich ein Live-Album, ein Unplugged-Konzert, ein Wunschkonzert und eine Sammlung von Sprechtexten ist. In der kleinen Besetzung mit Wolfgang Stute und Hajo Hoffmann, mit Gitarren, Geige und Akkordeon glücken Songs wie „Regen in Berlin“. „Ich hab’s versucht“, „Meine eigenen Wege“ und „Leg nicht auf“ vortrefflich; der launige Städte-Song „Steckbrieflich gesucht“, „Alaska Avenue“ und „Irrland“ gehören zu den gelungensten Kunze-Stücken. Sogar „Bestandsaufnahme“ fehlt nicht. Rock-Seligkeit und Schlager-Gefälligkeit, allzu häufig störende Beimengungen in Heinz Rudolf Kunzes Songs, schweigen bei der subtilen Instrumentierung.
Auch die eingeworfenen Sprechtexte, die sonst manchmal etwas anstrengend und angestrengt wirken, fügen sich in den konzentrierten, aber nicht weihevollen Vortrag. „Paul Potts, dieser halb ernährte Pavarotti-Papagei“ ist zwar ein leichtes Ziel, aber doch unwiderstehlich. In der neoliberalisierten, durch Eckart von Hirschhausen, Hape Kerkeling und Mario Barth totalverblödelten Gesellschaft kann man Glossen, Satiren, Aphorismen nicht mehr schreiben, ohne für ebenso tot erklärt zu werden wie das Kabarett alter Art. Kunze tut es trotzdem. Und singt am Ende gleich zwei seiner Lieblingssongs von Pete Townshend, „Won’t Get Fooled Again“ und „My Generation“.
Man denkt gerührt an jenes prägende Live-Album „Die Städte sehen aus wie schlafende Hunde“ von 1984. auf dem unser Dichter erstmals alles zusammenbrachte: die Balladen, den Spott, den Wortwitz, den Rock und den Roll; die Politik, die Befindlichkeit und den Zeitgeist. Damals, als das Feuilleton noch geholfen hat.