Michelle Shocked – Arkansas Traveller

Sie könnte längst eine Ikone vom Rang einer Lucinda Williams sein, wenn sie nicht ganz bewusst so viele, manchmal nicht recht nachvollziehbare Häutungen gemacht hätte. Im selben Jahr wie „Lucinda Williams“ erschien von ihr „Short Sharp Shocked“, ein Meisterwerk, das kürzlich als Doppel-CD remastered neu aufgelegt – 16 Jahre später noch famoser klingt als damals. Das war der Stoff, aus dem gewöhnlich Kultfiguren geboren werden. Mit dem Studio-Debüt (Producer: Pete Anderson) war der Texanerin ein Meisterwerk im Alt Country-Genre gelungen, bevor der Begriff überhaupt in Mode kam. Ein noch weit kompletteres Bild der Künstlerin, auch ihre Folk- und Blues-Roots dokumentierend, bietet die Expanded Edition. Dwight Yoakam wird das verschmerzen, wenn Pete Anderson in seinen Liner Notes dazu bekennt: „It’s the best record I’ve ever made.“

Aber anstatt dort konsequent anzuknüpfen, schockierte Miss Shocked die Plattenfirma ein Jahr darauf mit einem Ausflug in den Big-Band-Jazz der 40er Jahre und wechselte für „Captain Swing“ komplett die musikalische Identität aus. Vielleicht wollte sie uns damit ja sagen, dass die Wurzeln aller Rockmusik bis in jene Jahre zurück reichen.

Wiederum ein Jahr später ging sie noch viel weiter zurück in die musikalische Vergangenheit Jetzt zahlte sich aus, dass ihr Vater sie in zartem Teenager-Alter mit den Platten hochkarätiger Songschreiber-Koryphäen von Big Bill Broonzy bis zu Randy Newman und Country-Neutöner Guy Clark bekannt gemacht hatte. Mit dem Vorschuss von Mercury Records engagierte sie für das Roots-Projekt Musiker von Rang und Namen. Von The Band bis zu Unde Tupelo ganz tolle Gruppen, den an Gitarre, Banjo usw. oft zu hörenden Bernie Leadon als Music Director des Ganzen, von der damals noch nicht mit Grammys überhäuften Alison Krauss bis zu den viel gepriesenen Hothouse Flowers einige der kompetentesten denkbaren Begleiter. Auch mit von der Partie waren bei dieser Revue vieler Populärmusik-Gattungen der Südstaaten Veteranen wie Clarence „Gatemouth“ Brown, Taj Mahal, Pops Staples und Doc Watson.

Diese ganze Soul, Rock, Blues und Country Music basierten in Wirklichkeit – so ihre gewagte These in den Liner Notes, von der sie nach der Lektüre des Songbuchs „Does This Road Go To Little Rock?“ überzeugt war – auf der Tradition, welche die schwarzen Minstrel-Sänger begründet hätten. Am wunderbarsten untermauerte sie das mit Songs wie dem im Duett mit Doc Watson gesungenen „Strawberry Jam“ (Jerry Douglas in Höchstform bei seinem süperben Solo), ländlichem Liedgut wie „Prodigal Daughter“ (kongeniale Begleitung von Union Station mit Chefin Alison Krauss) und den an vielen verschiedenen Orten aufgenommenen, teils wie (höchst moderne!) Field Recordings klingenden Sachen wie „Woody’s Rag“ oder dem Titelsong.

Nach „Secret To A Long Life“, einer der hinreißendendsten aller Aufnahmen, bedauerte man schon 1990, dass Garth Hudson Albert Lee niemals fragte, ob er neuer Gitarrist von The Band werden möchte. Lang bevor das beim Ehepaar Miller und anderen Roots-Ikonen Mode kam, wurden für dieses Album Aufnahmen sehr ansprechend auch in Wohnzimmern gemacht. Unter den fünf Zugaben der Remaster-Ausgabe ein Live-Mitschnitt von „Blackberry Blossom“ und das solo gesungene Demo von „Come A Long Way“, die Folkrock-Aufnahme rigoros auf die Folk-Essenz reduzierend. Wie viele Sterne-Köche versichern, liegt die große Kunst ja in der Reduktion. In diesem Fall berührt das Demo noch tiefer als die mit Band aufgenommene Version.

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