Momus – The Philosophy Of Momus
Momus Cherry Red’IRS Was lief sonst noch in diesem Jahr? Ein Blick ins Regal. Neben den Stones-Memorabilia, der eingerissenen Konzert-Karte, dem Voodoo-Lounge-T-Shirt, der Jagger-Mütze mit Zunge, der „Stripped“-CD, dem Sammel-Ordner mit Zeitungs-Ausschnitten, Berichten und Besprechungen, dem großen Poster aus der Anton-Corbijn-Session: noch ein Album am Rand, fast vergessen, nirgendwo besprochen – nicht einmal von den Kollegen der Gaga-Zeitschrift „Spex“ in Köln. Momus. „ThePhilosophy Of Momus“. Wer ist Momus? Britischer Barde, Chansonnier, Dichter, Erotiker, Gainsbourg-Nachfolger, seit einigen Jahren Cyberspace-Surfer, Weltall-Romantiker und Freistil-Philosoph. Acht Alben bisher, ein Buch, „Lusts Of A Moron“, Bewunderung in den Boudoirs von Neil Tennant, Morrissey, Prince. Und doch: kaum eine Zeile über Nicholas Currie in all den Jahren. Einmal verklagte ihn der Reifen-Fabrikant Michelin, weil er für das Album „Hippopotamomus“ das dicke Trademark-Männlein der Firma mißbraucht hatte. Boccaccio, de Sade, das Perverse, die Krankheit, die Todeslust, davon handelten Momus‘ Lieder stets: >f A Tender Perrert“ nannte er ein Album, sein schönstes heißt „Poison Boyfriend“, auf dem er munter-melancholisch Freud und Kafka und Paul Klee zusammenbrachte. Die fröhliche Wissenschaft. Momus ist ein Plünderer der Literatur und Philosophie, ein Flaneur und Flagellant, dessen Inbild der schwarzen Romantik ein Rollstuhl ist – oft genug das Ende heilloser Liebesgeschichten: „Will you still love me when the wheelchair is my chair?“, fragt er auf dem Album „Timelord“, einem weihnachtlich-kosmischen Reigen der Erinnerung und der Gnade, einem verfrühten Rückbück auf die Liebe in den Zeiten von Aids und Virtualität. Nun weihnachtet es sehr, und “ The Philosophy Of Momus “ – nichts Geringeres! – scheppert und fiept und schwebt und knallt und knarzt und flüstert, voll Chuzpe und Parodie, ebenso billigen wie raffinierten Computer-Arrangements und beißenden Texten, Reggae-Travestie neben Euro-Disco und Techno-Persiflage und sentimentalen Balladen, aDes ins Ohr gewimmert, wortmächtig, gallig, klarsichtig. Momus variiert seine Themen, auch die musikalischen, natürlich seit langem, aber nach den geschlossenen, konzeptionellen Alben „Voyager“ und „Timelord“ hat er diesmal eine Ideen-Sammlung, ein Potpourri angerichtet, entgegen dem Titel eher Nachträge als das Hauptwerk. Seltsam heiter, wundersam offen und bunt klingen die Songs weshalb sie sich allerdings auch karaokehaft verströmen und verstreuen, statt sich im magischenMoment zu bündeln. Momus macht Home-recording an einer Raststätte der Daten-Autobahn, wo er Informationen und Einfalle aus dem vorbeifließenden Verkehr abzweigt und auf seine Mühlen leitet. Ein Album für die Zukunft. Denn für Momus ist es nie zu spät. Arne Willander