Natalie Merchant – The House Carpenter’s Dauqhter
Man könnte mit den Schultern zucken und sagen: Na ja, dass auch die Merchant ihren Harry Smith gefressen hat (und zwar schon mit 16 in der Lokal-Bücherei!), war ohnehin klar, also was muss sie uns jetzt auch noch mit „a collection of traditional & contemporary folk music“ kommen? Man kann aber auch argumentieren, dass Timing für Songs wie diese egaler als egal ist und sich einfach dem Gebotenen zuwenden. Was ich empfehlen darf, zumal ihr pastoraler Vortrag oft wie extra geschnitzt scheint für diese Vorlagen.
Diese Songs, so Merchant traurig, seien uns „langsam immer mehr entglitten“ und nur noch „Relikte“. Einspruch, Natalie! Sind sie heute nicht eher präsenter denn je? Nicht als orale Tradition einer Gemeinde natürlich, aber als frei verfügbare Sendboten einer anderen Zeit, einer anderen Welt im Technologie-Zirkus des globalen Dorfs, der jetzt auch die Tochter des Zimmermanns in manchen Winkel führt, von dem sie damals nicht mal träumte. Ein schönes Paradox, das Merchant – unbewusst wohl auch in ihrer Repertoirewahl reflektiert. Klingt nicht der Auftakt „Sally Ann“ wie eine alte Appalachen-Hymne auf die ewige Tragik der Frau? Okay, so international hätte man vor 70 Jahren in Irgendwo, Kentucky noch nicht gedacht und getextet. Und tatsächlich wurde der Song erst vor gut zehn Jahren von The Horseflies aus Ithaca, New York geschrieben, die natürlich auch ihren Harry Smith… Andersrum geguckt: Wozu die Kids damals im tiefsten Süden Seilspringen gespielt haben! „Soldier, Soldier“ heißt der Song, den Merchant mit einer siebenköpfigen Band um Graham Maby (Bass) und die Gitarristen Erik Della Penna und Gabriel Gordon ziemlich frei gen R&B bürstet Was insofern passt, als die Misogyne von Tits’n’Ass-HipHop gegen diese böse Pointe hier fast nach Frauenversteher klingen.
Natürlich auch Carter Family („Bury Me Under The Weeping Willow“), und mit „Diver Boy“ keine Hommage an den späten Jürgen Klinsmann bei Tottenham, sondern die obligatorische Mörder-Ballade, die noch besser, wenn nicht ganz so expressiv zum Finale hin geworden wäre. Und dass sie Richard Thompson im Angesicht des Fairport-Klassikers „Crazy Man Michael“ als „talentierten Songwriter“ preist, ist sowas von niedlich! Ein Extra-Punkt in der B-Note für das liebevolle Digipack: Alle Texte mit Quellen und kurzen Erläuterungen, schöne Fotos, kurzes Vorwort. Merchant lässt vor allem diese elf Songs und ihre Stimme sprechen.