Neil Diamond :: Dreams
Wieder allein, natürlich: Neil Diamonds besinnt sich auf die Lieblingslieder seiner Jugend zurück.
Der Vergleich liegt nahe: Johnny Cashs grandioses Comeback mit den „American Recordings“ verdankte sich zu einem Gutteil der auf das Nötigste reduzierten Produktion von Rick Rubin und einer sorgsam ausgewählten Reihe von Coversongs: vom unvergesslichen „Hurt“ (Nine Inch Nails) über das dräuende „The Mercy Seat“ (Nick Cave) bis zum erschütternden „I See A Darkness“ aus der Feder Will Oldhams. Auch Neil Diamond, bis dato als Schnulzenheini verschrien, gelang es unter Rubins Regie, 2005 mit „12 Songs“ und drei Jahre später mit „Home Before Dark“ wieder als ernstzunehmender Songwriter wahrgenommen zu werden. Wie sein 2003 verstorbener Kollege versieht er nun die Kompositionen anderer mit der Würde des Alters, allerdings gleich auf Albumlänge, dafür aber weniger nah am zeitgenössischen Popschaffen: „Dreams“ enthält ausschließlich wertkonservative Coverversionen seiner Lieblingssongs.
Viele dieser Songs hätten schon seit mehr als 40 Jahren darauf gewartet, dass er sie aufnehme, erklärte der New Yorker, der in Kürze seinen 70. Geburtstag feiert. Zusammen ergeben sie eine Zeitreise zurück zu jener Musik, die Diamond in seiner Jugend in Brooklyn entscheidend prägte. Nach fünf Jahrzehnten im Musikgeschäft und weltweit mehr als 128 Millionen verkauften Alben erlaubt es sich der Sänger mit der weichen Stimme also, seine musikalischen Wurzeln in den Vordergrund zu stellen. Und wie bei Cash, dessen vorerst letztes posthumes Vermächtnis mit „Ain’t No Grave“ begann, gehen auch bei Diamond erst einmal die Lichter aus: „Ain’t No Sunshine“ von Bill Withers, 1971 als Single und auf dem Album „Just As I Am“ erschienen, bildet den stimmigen Auftakt eines wehmütigen Gedenkens, das niemanden kalt lässt.
Zumeist spärlich instrumentiert, führt der elegische Trip in die Vergangenheit von einer bestrickenden Interpretation des Beatles-Evergreens „Blackbird“ über Gilbert O’Sullivans „Alone Again (Naturally)“ bis zu „Let It Be Me“, das 1960 in der Version der Everly Brothers die Hitparaden stürmte. Von Leonard Cohens „Hallelujah“, lediglich von einer Gitarre begleitet, hätte es angesichts unzähliger bereits existierender Coverversionen zwar keine weitere gebraucht, inmitten von Randy Newmans „Losing You“ und dem wiederentdeckten Leon Russell-Klassiker „A Song For You“ ergibt sich daraus jedoch ein feierlicher, mal pathetischer, mal melancholischer Dreiklang.
Selbst seinem eigenen Hit „I’m A Believer“, in der Fassung der Monkees die meistverkaufte Platte des Jahres 1967, gewinnt Diamond noch einige neue, weniger schmissige Töne ab. Sodann legt er sein Ohr auf die Schiene der Geschichte, während wir dem Rattern des „Midnight Train To Georgia“ lauschen. Etwas mehr Wagemut bei der Zusammenstellung des Songmaterials hätte man dem Grammy-Preisträger indes gewünscht. Das Recycling von ohnehin zeitlosen Melodien kann einfach nicht der Weisheit letzter Schluss sein. (sony) alexander müller