Neil Young
Eine Wiederveröffentlichung ist dies nur insofern, als es sich um dieselben Stücke handelt —jene Agitprop-Songs, die Neil Young im letzten Jahr als „Folk-Metal“ herausbrachte, zu Beifall der europäischen Blätter (die sie in den Jahreslisten freilich allenfalls weiter hinten aufführten) und geteilter Meinung in den USA. Young Einseitigkeit vorzuwerfen, wäre freilich ebenso naiv wie komisch, denn neben der üblichen Medien- und Konsumschelte attackiert er hier so explizit und schlicht den Präsidenten, dass es eine Freude ist.
Die Rohfassungen von „Living With War“(deshalb „In The
Beginning“) unterscheiden sich vor allem dari n von den späteren Aufnahmen, dass der pathetische Volks-Chor noch fehlt. Gitarre, Bass und Schlagzeug rumpeln abenteuerlich durch die Lieder, und es ist die schiere Wucht, die reine Wut, die einen das krude Ad-hoc-Zeug goutieren lässt. Um dieses Stadium des Schaffensprozesses zu dokumentieren, hätte es diese Edition nicht gebraucht. Obwohl die Kinderzeichnung von Amber Young auf dem Cover den Gegenstand geradezu kongenial schrecklich illustriert und der Papp-Schuber suggeriert, auch dieses Produkt sei dem Müll geweiht.
Nein, es sind die Videos auf der DVD, die Neil Young plötzlich als Neuerer und Radikalisten ausweisen. Konsequent und sardonisch hat er die Songs als digitale Zeitung und Nachrichtenkanal „LWW“ gestalten lassen – unter dem Motto „All war — all the time“. Naturzerstörung, der Tod im Irak, Bilder von der Heimkunft der Särge, die Aufnahmen von George Bush auf dem Flugzeugträger vor dem Banner „Mission accomplished“, Kampfszenen, Wüstenansichten, Explosionen und Porträts sämtlicher Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika fügen sich mit den crawlers und dem permanenten death count am unteren Bildschirmrand zu einer gruseligen, einer grausigen CNN-Parodie. Die Methode mag Michael Moores Primitiv-Beweisführung ähneln, — doch die erschütternde Feststellung, dass der Präsident nicht eine einzige Beisetzung eines Soldaten besucht hat, erklärt den emotionalen Aplomb der Musik wie der Collagen.
Die Dokumentation der Aufnahmen zu dem Album in rustikalem Ambiente zeigt Young und seine Musiker im spontanen Rapport und offenbart die Stücke in ihrem embryonalen Stadium— bei Young niemals weit von der endgültig realisierten Fassung entfernt. Im Falsett wimmert er bereits die Songtexte, Bass und Schlagzeug fallen in sein Gitarrenspiel ein, als wären Crazy Horse am Werk (es sind Chad Cromwell und Rick Rosas). Man sieht auch den gewaltigen Chor aus redlichen Bürgern, der im Studio inbrünstig die Parolen skandiert („Let’s impeach the President!“). Aber ach, man ahnt auch die Vergeblichkeit.
Zwei Konzertaufnahmen aus den mittleren 8oer Jahren zeigen, dass Neil Young mit „Living With War“ bloß sein ewiges Thema fortsetzt-die Unendlichkeit Amerikas und seine Korruption durch Schurken und die Moderne. Das gespenstisch-hymnische „Long Walk Home“ und die böse Satire „Mideast Vacation“ griffen bereits dem apokalyptischen Szenario vor und schaffen hier eine bittere Kohärenz.
Auf ganz kindliche Weise protestiert der konservative Gemütsmensch Young mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen — und das sind paradoxerweise durchaus solche der Postmoderne. Seine ätzende Attacke ist auch ästhetisch konsistent, weil er die Bilder der Propaganda zur Aufklärung benutzt. Und die Flagge weht hier für das andere, das säkulare, rationale und liberale Amerika. Long may you run. WARMER!