NUGGETS :: VON JÖRG GÜLDEN

Vom Meilenstein zum Monument, denn mit der 4-CD-Box namens „NUGGETS: Original Artyfacts Front The First Psychedelic Era, 1965-1968“ (Rhino/Edel Contraire) erwirbt man nicht nur -egal ob Hh oder „nur“ Rarität – 118 Klassiker der ersten US-Punk-Ära sondern auch das Zeitdokument eines nie für möglich erachteten Jugendkultur-Austauschs zwischen Alter und Neuer Welt Das opulente Booklet dieser Hit-Box entpuppt sich obendrein noch als ein dermaßen faktenpralles Nachschlagewerk, daß so manches Standard-Rock-Lexikon dagegen uralt aussieht.

Ihre erste Füllung bekam die Schatzkiste bereits vor über 25 Jahren. Damals animierte „Elektra“-Boß Jac Holzman den Musikjournalisten und Patti-Smith-Group-Gitarristen Lenny Kaye zu einer Anthologie, die übersehene Perlen amerikanischer Roots-Rocker und vergessene Hits früher Garagen-Genies wieder zu Gehör bringen sollte. Das Resultat von Kayes akribischer Spurensuche war das Doppelalbum „Afaggeö“ 1 , das im Herbst ’72 erschien und dank seiner 27 Teenage-Lust-Klassiker (u. a. von den Standells, Count Five, den Knickerbockers und den Thirteenth Floor Elevators) für viele Kritiker noch heute das Rock’n‘ Roll-Reissue-Juwel schlechthin ist.

Warum es Mitte der Sechziger urplötzlich Scharen pickeliger US-Kids in die Garagen zog und dort billige Farfisa-Orgeln und Mosrite-Gitarren malträtieren ließ, ist leicht zu erklären: In den frühen Sechzigern nämlich war die British Invasion in Gestalt von Beatles, Rolling Stones, Kinks, Animals, Dave Gark Five und Yardbirds wie ein reinigendes Gewitter übers weite Land gekommen, hatte „Teenstars“ ä la Paul Anka oder Patti Page ins Aus befördert und Millionen Teens zwischen New ¿fork und L. A. enthusiasmiert – Wer wollte jetzt noch Pilot, Lokführer oder Rennfahrer werden, wenn er mit etwas Übung Gapton, Lennon oder Jagger werden konnte? Von den angenehmen Begleiterscheinungen solch einer Berufswahl – Girls galore, Fans en masse, Schlagzeilen, Drogen, Limousinen mit Chauffeur etc. – mal ganz zu schweigen.

Angesichts all der unterschiedlichen regionalen Einflüsse an Ost- und Westküste, in Nord- und Südstaaten sowie den stilistischen Eigenheiten der jeweils kopierten Idole Britanniens, muß man den US-Garagen-Rock weniger als Stil denn als Haltung verstehen. Es ging den im Sturm genommenen US-Kids nur um eines: ihre Unrast, die neuentdeckte Lust an Rebellion und die Absage an das lähmende bürgerliche Wertesystem mit einer Explosion – so laut wie technisch machbar – rauszulassen. Und das möglichst in 180 Sekunden.

Der Platz ist zu knapp, um jeden der hier vereinten Klassiker gebührend zu würdigen. Erwähnt seien daher nur so persönliche Favoriten wie das ,J Ain’t No Miracle Worker“ der Brogues, das eine Dynamik freisetzt, der man sich auch nach 25 Jahren nicht entziehen kann. Paradenümmerchen in puncto geilem Lärm sind definitiv auch die Woolies-Version des Bo-Diddley-Hits „Who Do You Love“ und die „Journey To Tyme“ von Kenny and die Kasuals. (Diese Truppe setzte sich später mit der LP „Garage Kings“ ein eigenes, absolut verdientes Denkmal.)

Mal abgesehen davon, daß einige Combos mit wahrhaft erstaunlichen Resultaten ihre langjährige Beatles- oder Stones-Fixierung aufarbeiten, hält die „M-ggeö a -Box auch noch eine Menge Überraschungen parat, was die ersten Gehversuche heute hochangesehener Musiker betrifft. Da entdeckt man bei der Hot-Rod-Band Sagittarius neben Glen Campbell auch noch Beach Boy Bruce Johnston, bei den Brogues wirkten die späteren Quicksilver Messenger Service-Musiker Gary Cole (Duncan) und Greg Elmore mit, hinter dem Lyme des Psychedelic-Duos Lyme & Cybelle verbarg sich Warren Zevon, der spätere Springsteen-Manager Mike Appel gab bei The Balloon Farm den Musiker, die renommierten Songwriter/ Produzenten Feldman, Goldstein und Gottehrer machten zeitweilig als The Strangeloves cleveren Pop, und daß sich Todd Rundgren bei Nazz und Ted Nugent bei den Amboy Dukes erste Sporen verdienten, müßte wohl rum sein.

Den Schrillheit-Vogel aber schießen vier weißblonde Mopköppe namens The Golliwogs ab, die mit ungefärbten Haaren als Creedence Qearwater Revival Rock-Legende wurden.

Es gibt viel zu entdecken auf „Nuggets“ in erster Linie natürlich dies Füllhorn ungeahnter, genialer Klänge.

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