OASIS – Be Here Now :: Creation/Sony

Berlin ist mal wieder eine Reise wert. Auf den Straßen frönen zuckende Zombies dem organisierten Frohsinn. Sie hatten also beide recht: Gottfried Benn und Gotthilf Fischer. Der Mensch ist ein Herdentier, ein selten blödes. Benn rotiert darob nochmal um die eigene Achse, irgendwo unter der Grasnarbe, und Fischer ist ganz selig, weil seine Saat nun endlich aufgegangen ist. Ein paar Beats mehr oder weniger in der Minute, wer zählt die schon? Von der Mattscheibe tönt es live: „Hallo, ich bin’s, euer Doktor Motte, letze san schein in johr hahrt.“ Delirium tremens. Eine Million im Taumel, esoterisch und exhibitionistisch und so einfältig, daß man sie schon mit ein paar Sonnenstrahlen an der Kandare hat. Ist dies der Endsieg der Techno-Kratie über die Kunst und die Willkür des Otters? Müssen die Nachgeborenen künftig alle in Trillerpfeifen blasen, den Babyspeck raushängen lassen und gut drauf sein? Relax, noch ist nicht alles verloren. Nicht, solange es das Gegengift Oasis gibt.

Die Jalousien also runter, den Volume-Regler auf Anschlag und zum x-ten Mal heute von vorne, während die Glotze in der Ecke stumm den Gegenentwurf dokumentiert: „Be Here Now“. Hier wie da der Ruf zur Versammlung, die Trommeln, das Dabeiseinistalles. Und doch ist ein frappierenderes Kontrastprogramm kaum vorstellbar. Zur ferngesehenen Nabelschauparade kommt akustisch eine Lawine ins Rollen, ein so donnernder Rabatz, daß man von den Beinen gefegt wird und schon bald nicht mehr weiß, ob es Heidenlärm und Mordsspaß heißt, was da brachial von allen Seiten dröhnt und drückt, oder Mordslärm und Heidenspaß. Gleichviel, die dritte Oasis-LP ist all das und noch viel mehr: truly supersonic.

Stilistisch zwischen „Definitely Maybe“ und „Morning Glory“ werde die Neue liegen, hatte Noel Gallagher avisiert, doch kann er damit nur den Approach beim Komponieren, den Melodiegehalt gemeint haben. War „Maybe“ die zweidimensionale Projektion von John Lennon auf Pistols-Pop und „Glory“ eine dreidimensionale Holographie aller Beatles-Attribute, wirkt „Now“ monolithisch in seiner Manie, Schicht um Schicht aufzutragen, ohne Rücksicht auf die Tragfähigkeit des Ganzen. Wie beim Turmbau zu Babel steht hinter dem neuen Oasis-Werk Unmäßigkeit, Hybris und die Arroganz der Macht.

Wenn man die meistverkaufte LP in der Geschichte des UK schon gemacht hat und der Planet Rock nur noch Spielball ist, geht man in die Vollen, erst recht, wenn man Gallagher heißt und auf die harte Tour gelernt hat, den Kompromiß als Schwäche zu deuten. Und so saß Noel im Studio und verfügte: noch eine Gitarren-Spur, mehr Feedback, Schlagzeug lauter, noch eine Tonne Reverb obendrauf, Limiter auf Liam, Loops vorwärts und rückwärts, mehr, mehr, lauter, viel lauter. Unverstand dieses prekären Kalibers nähert sich der Gegend, wo Genie und Wahnsinn hausen. Und genauso klingt „Be Here Now“, nahe dem Abgrund, stets in Gefahr, das letzte bißchen Balance zu verlieren, ultimativ jedoch triumphal.

Das tumultarische Dröhnen von „D’You Know What I Mean?“ birgt mehrere Lagen verfremdeter Gitarren, percussives Dauergewitter und anderen Overkill, doch Liams Gegen-den-Rest-der-Welt-Vocals durchdringen das meterdicke Sound-Gestrüpp wie eine Machete. „I met my maker and I made him cry“, raspelt er und läßt uns im Unklaren, ob Religionskritik dahintersteckt oder der alte Haß auf den Erzeuger in Irland. „My Big Mouth“ ist globaler Garage Rock, „Magic Pie“ die Noel-Nummer, aber muskulöser als „Wonderwall“ und ebenfalls angereichert mit allerlei Fieps und Pieps. „Stand By Me“ ist der am komplettesten realisierte Song des Albums, in klassischem Noel-Schnitt und ausgestattet mit einer magischen Melodie. „I Hope, I Think, I Know“ und „It’s Getting Better (Man!!)“ rocken furios, letzteres mit Single-Qualitäten. „Fade In-Out“ überrascht durch Slide-Einlagen, Maracas und bluesige Akkorde, der Title Track, ein nobler Boogie in Stones-Manier, durch pumpendes Riffing und einen an,Jumpin’Jack Flash“ gemahnenden Text: „Been kicking up a storm/ Since the day that I was born.“

Noels ganzer Stolz ist „All Around The World“, ein mehr als zehnminütiges Epos mit akustischem Intro, over-the-top-Streichern und einem ewiglangen Fade-Out, natürlich zu La-Ia-Ia-Chor wie beim Vbrbild. Noel grinst nur. „Ist aber besser als JHey Jude'“, sagt er, und natürlich: So ist es. „Don’t Go Away“, balladesk und bei allem Radau butterweich, funktioniert weniger gut, weil die Melodie des Refrains zu eng an „Slide Away“ angelehnt ist, während das Tune zu „The Girl In The Dirty Shirt“ wahrhaft subversiv daherkommt, growing and growing. Die Reprise von „All Around The World“ am Ende eröffnet mit Trompeten und mehr Sound-Zitaten als jeder Track auf „Morning Glory“. Die Beatles, Hendrix, Psychedelisrnen zuhaut. Der Schluß ist der Anfang von „We Love You“: Schritte hallen, eine Tür fallt ins Schloß. Ein kürzet, ironischer Epilog zu einem monumen- talen, euphorisierenden Album, low on dynamics und ohne jedes Schielen auf seine Vferkäuflichkeit nach Übersee. „Americans don’t get it anyway“, weiß Noel, und Liam assistiert: „They’re wankers.“

Kontroverse statt Konvergenz, Charakter anstelle von Charaden: Oasis sind authentisch, eins in ihrer Liebe und in ihrem Haß. „These days are crazy but they make me shine“, singt Liam. Shine on, you crazy diamond.

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