Paul Simon

Stranger To Stranger

Wunderbar idiosynkratisch, aber nicht zu akademisch: Der Songwriter kreiert viele berührende Momente und neue Sounds.

„In gewissem Sinne ist die Vergangenheit eines Künstlers ein Hindernis, das er mit jeder neuen Arbeit überwinden muss“, sagt Paul Simon. Eben dieser Herausforderung hat er sich praktisch immer gestellt; auch für sein neues Werk, „Stranger To Stranger“, änderte er die Bedingungen in mehrfacher Weise.

Zunächst im Personal. Simon arbeitete unter anderem mit dem weltmusikerfahrenen italienischen DJ Clap! Clap! zusammen, der seine moderne Elektronik in Paul Simons Klänge integrierte. Etwa beim Auftakt „Werewolf“, bei dem Simon über einer Afro-Cuban-Beat-Collage eine seiner typischen melodischen Rezitationen entwirft. Auch das folgende „Wristband“ steht auf einem vertrackten Rhythmusteppich aus subtilen Electro-Fragmenten und händischer Percussion. Produziert wurde das Album von Roy Halee, der in den Sechzigern schon die Harmonien von Simon & Garfunkel aufnahm, Simons erstes Studiomeisterwerk „Bookends“ co-produzierte und später aus dem in Südafrika aufgenommenen Rohmaterial die Tracks von „Graceland“ zauberte, dessen transparenter Klang und afrikanischen Rhythmusstrukturen an vielen Stellen auch „Stranger To Stranger“ prägen.

In der Mitte steht der Titeltrack, der sich geheimnisvoll hebt und senkt wie ein ruhiger Atem. Simon singt mit inwendigem Ton von Sommerbäumen und vom Vergehen der Zeit – das Lied ist ein kleines Wunder. Drei weitere Songs haben eine ähnliche Atmosphäre: das meditative „Proof Of Love“, das instrumentale „In The Garden of Edie“ (!) und der wundervolle Abschiedswalzer „Insomniac’s Lullaby“, bei dem eine Akustikgitarre nach Simon & Garfunkel-Art die Kadenzen abläuft. Bei dem letztgenannten Track hört man ein Chromelodeon aus der Sammlung des Musikforschers Harry Partch – Simon verstand anhand des auf 43-teilige Oktaven gestimmten Harmoniums, dass das menschliche Ohr weit mehr erfassen kann als nur zwölf Töne und schrieb seine Gesangslinien so, dass sie oft eher einer Unterhaltung gleichen als streng wohltemperierten Melodien.

„Stranger To Stranger“ hat viele der Idiosynkrasien, die Paul Simon zu einem der entscheidenden Songwriter der Pophistorie gemacht haben. Doch darüber hinaus findet er neue Sounds und Rhythmen, mit denen er die Arrangements aufbricht, kommentiert und kunstvoll verwischt. Das Album ist deshalb nicht (zu) akademisch – Simon kreiert für „Stranger To Stranger“ einige der berührendsten Momente seiner letzten drei, vier Alben.