Peter Hammill – Over :: Sechs Alben aus der mittleren Periode des Schaffenswütigen

Es wird ja immer gern berichtet, welche der Altvorderen (die meisten waren kaum zehn Jahre älter) von den Punks akzeptiert wurden. Da waren David Bowie wg. Unverschnarchtheit, ja Chamäleonhaftigkeit, und Neil Young wg. Aufrichtigkeit und Nonkonformismus, und Lou Reed wg. Griesgrämigkeit und Zynismus, und John Calewg. Irrsinn und Drogensucht, und wahrscheinlich Ozzy Osbourne wg. Unzurechnungsfähigkeit, und womöglich Lemmv Kilmister wg. Suff und Warze. Außer möglicherweise Led Zeppelin, Steve Miller und Peter Frampton waren es gar nicht so wenige, die sich in die neue Zeit retten konnten.

Nur Prog-Rock und die Folgen mochten Punks nicht, „Animals“ von Pink Floyd war 1977 des Teufels, trotz der Fabrikschlöte. Peter Hammill aber, der mit Van der Graaf Generator viel Pomp & Circumstance aufgetürmt hatte, zählte bei John Lydon angeblich zu den Guten. „Nadir’s Big Chance“ von 1974 hatte nachhaltig gefallen: Hammill gab den Schreihals und Wüterich und brach mit den barocken, kunstfrommen Kompostionen, wenn auch nicht für immer. Im Jahr 1977 war Hammill ausgerechnet nicht nach Experiment zumute – während Kollege Peter Gabriel seine erste Solo-Platte herausbrachte, war dem anderen Großkünstler vom britischen Land auf „Over“ nach spätem Hippietum. Aber betörend: „Crying Wolf“. „Time Heals“, „This Side Of The Looking Glass“ und das großartige, redundant ausklingende „Lost And Found“. In „(On Tuesday’s She Used To Do) Yoga“ zeigt sich etwas bei Hammill sehr Seltenes, namentlich eine Art von Humor und Zeitgeistigkeit. Drei Song-Variationen sind ergänzt worden.

1979 war Hammill vorwitzig und wollte in seinem Heimstudio Sofa Sound unbedingt mit einer frühen Drum Machine arbeiten. Peter Gabriel stellte großzügigein Electric Grand Piano zur Verfügung. Begeistert von der Roland Beat Box und auch am Bass dilettierend, lärmte sich der lernwütige Autodidakt allein durch einen Wust frei flottierender, hysterischer Stücke: „pH 7“ (2,0) war seiner Zeit also im schlechtesten Sinne voraus, auch eine Lektion für Hammill (und den Hörer!).

Schlimmer noch geriet 1981 „Sittitig Targets“ (1,01/2) mit avancierter Technik und größerer Hybris. „Simple and clean“ sollten die Songs sein, David Jackson spielte enervierende Saxofon-Passagen, Hammill hatte seinen Liedern jeden Schönklangausgetrieben, schließlich die Lieder selbst abgetrieben.

Woraufhin 1984 mit „The Love Songs“ (4,0) der letzte Versuch unternommen wurde, den nicht mehr ganz jungen Künstler zu einem kommerziell verantwortbaren Risiko zu stutzen. Hammill nahm um das Stück Just Good Friends“ herum einige Liebeslieder aus seinem Repertoire noch einmal auf- eine für ihn vorher natürlich undenkbare Aufgabe.Zwar waren wiederum keine nennenswerten Verkäufe zu verzeichnen, aber der Musiker hatte ohnehin schon mit dem Gedanken abgeschlossen, so etwas wie ein Star zu werden. Und auch die lange Beziehung mit dem Label Charisma sah er allmählich zuschanden gehen, offenbar ohne Bedauern. Für das Cover von „The Love Songs“ wurde Hammill zum einzigen Mal in seiner Karriere aufgerüscht und – wie frisch aus der Dusche – auf ein Sofa gesetzt. Die weißen Jogging-Hosen bedauert er noch heute. Immerhin hört man hier einige seiner schönsten Balladen und seine strahlende Stimme in majestätischen Streicher-Arrangements. Hier war er Romantiker, hier durfte er es sein.

Mit „Skin“ (1985. 3,0) gab Hammill den populistischen Ansatz für immer auf. Begeistert setzte er in seinem Studio, neben anderen Synthesizern, den berüchtigten Yamaha DX7 ein, heute ein Symbol für den Klang der 80er Jahre. Manche der computerisierten Stücke, etwa .After The Show“, haben die Intensität, die Thomas Dolby und die Dolphin Brothers aus der Synthetik herausholten (oder in sie hineinlegten). Leider wurde bei dieser Remaster-Ausgabe das wunderbare letzte Stück, „Now Lover“, wiederum als „Low Lover“aufdie Hülle gedruckt. „Something learned?“ fragt Hammill selbst im Booklet (wie bei jeder dieser Editionen). Die Antwort: „The start of Computer recording – in shaky steps.“

Wackelig dann auch der Versuch, auf „As Close As This“ (1986, 2,0) nur mit Keyboards die skizzierten Songs umzusetzen. Am besten gelangen die beiden Songs zum Piano; anderswo zerstören Macintosh und MIDI von Paul Ridout die Andacht. Zum letzten Mal arbeitete Hammill mit Anton Corbijn bei der extremen Nahaufnahme des Gesichts für das Cover. Der Fotograf machte gigantische Abzüge von dem Motiv und verabschiedete sich nach Joshua Tree zu einer irischen Band, die stimmungsvolles Schwarzweiß verlangte.

Ein Jahr später gelang dem ähnlich begabten Peter Gabriel mit „So“ die Welteroberung. Hammill konnte, wollte wohl auch nicht. Er brachte weiterhin jedes Jahr eine Platte heraus und war dabei nicht weniger hermetisch und sprunghaft; seine Grillen erinnern eher an die radikalen Wendungen und Häutungen von John Cale. Das eine große Hauptwerk ist noch immer nicht erschienen – und nun ist es wohl auch zu spät. Peter Hammill arbeitet an Fragmenten, an Ideen, am Detail: „We live and learn. And go on.“

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