Pink Floyd – The Piper At The Gates Of Dawn
Sollte es Produzent Norman Smith gewesen sein, der sich vehement und erfolgreich dagegen aussprach, dass Stücke wie „Nick’s Boogie“ – aus dem frühen Bühnenrepertoire von Pink Floyd – viel Raum auf der Debüt-LP einnehmen könnten, dann muss man ihm Jahrzehnte später noch dankbar sein. Pete Townshend soll sich damals angeblich bitterlich darüber beklagt haben, dass Live-Show und erstes Langspielwerk der Band zwei ganz verschiedene paar Stiefel seien. Ein wunderbar ausgefallenes Stück Pop war die Debüt-Single gewesen, die Geschichte von diesem Transvestiten Arnold Layne, der das seltsame Hobby pflegte, Frauenkleider von Wäscheleinen zu klauen.
Damit war man schon ganz in der Vorstellungswelt von Syd Barrett. Der erzählte auch ziemlich skurrile bis leicht surreale Geschichten, verkleidet teils als Kinderlieder, aber ganz gewiss nicht als solche arrangiert und musiziert. Da war dies Lied über den Gnom namens Grimble Gromble, ein anderes erzählte von einer schwarzgrünen Vogelscheuche, ein besonders hübsches vom Siamkater Lucifer Sam, den er auffordert:
„Lucifer go to sea/ Be a hip cat/ Be a ship’s cat…“ Und das über diese unbehauste Maus, von der er singt: „I don’t know why I call him Gerald/ He’s getting rather old but he’s a good mouse.“ Ein Song („Flaming“) verriet, wo ihm all diese Geschichten einfielen: Auf einer Decke aus Eiderdaunen auf einer Wolke schwebend, auch auf einem Einhorn sitzend, dann wieder auch mal „Streaming through the starlit skies travelling by telephone“ – jedenfalls ganz hoch über Normalsterblichen. Von dem, was er dort oben auch an Sphärenklängen hörte, vermittelte das Instrumental mit dem merkwürdig verstümmelten Titel „Pow R. Toc H.“ einen ganz guten Eindruck. Mal fand er für seine Phantasmagorien dissoziative Binnenreime, aber meist reimte er assoziativ. Das Geheimnis verriet er im letzten Song. Er gesteht der Angebeteten, der er so gern sein Fahrrad schenken möchte, das aber nicht kann, weil es nur geliehen ist: „I know a room of musical tunes/ Some rhyme, some ching, most of them are clockwork…“
Genau genommen waren diese mutmaßlich auch schon drogeninspirierten Lieder also gar nicht mal so verrätselt wie manches, was Dylan in den Jahren 1964 bis 1966 für Songs und Plattenhüllen an Texten gereimt hatte. Nachträglich betrachtet irgendwo immer noch schade, dass man sich nicht dazu entschließen mochte, auch die aktuellen Singles auf dem Album zu bringen. So konzentrierte sich das Interesse weithin auf zwei jener Instrumentals, mit denen sich die Band ihren Ruf als die größte Sensation im Underground-Rock der Insel eingehandelt hatte. Joe Boyd verstand damit umzugehen. Nur waren die beiden von ihm für die Debüt-Single produzierten Songs ja auch nicht der Stotf, mit dem das Quartett in seinen Konzerten zum Geheimtipp geworden war. Damit musste so richtig erst der gute Norman Smith während der sich drei Monate hinziehenden Sessions zurechtkommen. Der behauptete später, bei EMI an höfliche Etikette und strenge Disziplin aller in den Abbey Road-Studios arbeitenden Musiker, Tontechniker und sicher auch Büroleute gewohnt, diese Aufnahmen seien die reine Hölle gewesen. Vermutlich hat er den Job verflucht, zu dem ihn seine Vorgesetzten abgestellt hatten, aber ablehnen konnte er den als Angestellter nicht. Die Ära der mächtigen freien Produzenten dämmerte erst. Für ihn galt die Devise „Learning by doing“, vor allem, was „Astronomy Domine“ und die immer neuen Takes von „Interstellar Overdrive“ anging. An einen Remix der originalen Vierspur-Bänder dachte bis heute anscheinend noch niemand.
Smith betrachtete das Ergebnis der Sessions wohl als ein Machwerk von Dilettanten. Der eine oder andere Kritiker sah dagegen in deutschen Feuilletons durchaus Parallelen zu zeitgenössischer E-Musik. Für viele andere markiert diese Platte dagegen den Beginn von allem, was später unter dem Begriff Prog-Rock subsumiert wurde. Was auch absurd ist, denn was an diesem Album „fortschrittlich“ sein soll, belegt letztlich trotzdem niemand schlüssig. „The Piper At The Gates Of Daum“ ist der absolute Ausnahmefall einer Platte, die eine Weile als zeitgeistig gelten konnte, aber längst wie aus der Zeit gefallen klingt.
Schade nur, dass man bei dieser Jubiläumsausgabe gänzlich auf Liner Notes verzichtete, dass also auch nirgends erklärt wird, wer etwa auf die Idee zu den Streichern am Ende bei „Scarecrow“ kam, wieso diese gegenüber den Live-Versionen drastisch gekürzte Fassung von „Interstellar Overdrive“ das final master wurde (2wei andere Takes gibt es auf der Bonus-CD auch), was es mit weiteren Outtakes auf sich hat usw.
Für die „Back to Mono!“-Fraktion gibt es jetzt wieder die Wochen vor der Stereo-LP in England in den Handel gebrachte Mono-LP auf der ersten CD. (Dass man damit auch deutsche Platten käufer begeistern könnte, hielt man in Köln bei der Electrola seinerzeit aber für völlig abwegig.) Klanglich hat sich gegenüber dem Doug-Sax-Remaster von 1994 übrigens wenig bis nichts getan.