Print-Pop

„Paranoid“ (Verlag Markus Kammski, Euro 14,00) von Wolfgang Ruehl, erschienen bei einem Indie-Verlag, wäre bei einem Major kaum denkbar. Völlig selbstverständlich rasen ein Camaro und ein 32OOGT über die Seiten, dem Maserati folgt in Gedanken ein Thunderbird. Es gibt Nachhilfe in Moshpit-Etikette, Details zu ungeschriebenen Abkommen beim Erwerb nicht-legaler Betäubungsmittel, Erörterungen cooler Songs und Sounds und Sänger (Perry Farrell und Chuck Mosley) und andere Brüller. Mit dem Buch kommt auch der Soundtrack, eine CD mit 15 Drug-Tracks, die man schon hat oder kennt, zum Teil aber auch erstmals entdecken dürfte. Das Romandebüt des Filmemachers Ruehl ist uptempo, mehr Pogo als Paartanz. Wie gesagt, keine Atempause: Der Thekenphilosoph und Verschwörungstheoretiker Hagen läuft im Frühjahr 2006 mit Franjo in Paris ein. Die beiden bewältigen eine der letzten Etappen des von transadventure.com ausgerichteten Spiels, einer Schnitzeljagd durch Clubs und Bars. Nach wenigen Seiten finden sie nicht den erträumten Jackpot, sondern – hinter einem Schreibtisch liegend – einen Mann. In einer riesigen, schwarzen Blutlache. Fast so schnell, wie wir da reinrutschen, stehen die Ordnungshüter vor der Tür. Ein Mitmach-Thriller, in dem Waffenhandel mit dem Kongo eine Rolle spielt; ein Roadmovie mit Reiseziel Holland, wohin es nicht zum Erwerb von Clogs gehen soll; eine Satire auf Zeitgeist und Gameshows. Wer den unterschied zwischen Charlie Parker und Henry Rollins kennt, wer lachen kann, wenn Sepultura als Karnevalsrocker bezeichnet werden, sollte zugreifen.4,0 „Disko Ramallah“ (Kiwi, Euro 8,90) von Hans Nieswandt ist so eine Art „Unterwegs“ für die Generation DJ. Nieswandt ist Dancefloorurlaubern nach/aus Berlin und Ibiza und NYC ein Begriff, Lesern entweder von „Spex“ (als die sich noch nicht gegen „Visions“ und „Intro“ abgrenzen musste) oder von „plus minus acht“, einem der coolsten Berichte überhaupt vom Leben on the road und off the record. Seither hat der Gonzo-Fan noch an einigen merkwürdigen Orten aufgelegt – und davon berichtet er in „Disko Ramallah“. Außer einem Gespür für Timing braucht ein DJ gute Sounds, einen Instinkt für Atmosphären sowie Auge und Ohr für das besondere Detail. Vor allem braucht er aber einen inneren Drang. Und den hat er. Nieswandt will es besser, viel besser machen als der Durchschnitt, ist vom Typ her aber bescheiden, locker, relaxed. Der komplette Mittelteil des Buchs, ein Trip in den Gaza-Streifen, wo den Menschen nach Tanzen nicht zumute ist, schon gar nicht zu deutschem Elektronikpop, sei es nun Kölner oder Hamburger Schule, ist dermaßen gut. dass man fast beginnt, an Nieswandts Musik zu glauben. Zum Lachen, zum Mitwippen. Auch Tränen kommen einem (wie dem Autor) – und schon zählt man die Tage bis zum nächsten Remix aus Nieswandts Notizen und Reiseberichten.4,0

„Das Geschäftsjahr 1968/69“ (edition suhrkamp, Euro 10,00) von Bernd Cailloux signalisiert schon im Titel, dass es weder um Bashing noch Verklärung der 68er geht. Es ist das Gegenteil von Retro: Statt im Rückspiegel (Selbst-)Betrachtungen nostalgisch zu verklären, rollt Cailloux die Zeit anders auf. Für ihn ist das mythenbesetzte ’68 eine Variation, eine Vorwegnahme der Neunziger – als alles ging, besonders wenn mit Geschäftssinn eingefädelt, ordentlich zusammengelötet und mit Gespür für Profit und Zeitgeist. Ganz wie ein Start-up im Goldrausch ist auch das, woran sich die Beteiligten in dem Roman erinnern: wie sie eine Zeitlang in eine Richtung zogen und Erfolg hatten, dann Sex und Drogen und dann eben das Erwachen – bei dem man sich eingestehen musste, aus der Distanz Jahrzehnte später erst recht, dass man kein gutes Team abgab, die Ziele zu unterschiedlich waren. Der eine ist eben vor allem Unternehmer, ein anderer Bastler und der Dritte (hier: Protagonist) Idealist bzw. ewiger Hippie. Im Feuilleton kam die Geschichte sehr gut an, vor allem da abseits der Klischees. Macht Lust auf das Buch über die Zeit dazwischen, verfasst von den zehn Jahre jüngeren Georg Heinzen und Uwe Koch: „Von der Nutzlosigkeit erwachsen zu werden“. 3,0 „Carnival Desires“ (German Publishing, Euro 12.00) von Mark Lindquist ist ideal für alle, die nach dem jüngsten Bret Easton Ellis nicht genug haben von Bratpack, von Kids, die immer dabei sein und nix verpassen wollen. Lindquist kennt die Welt, er kennt die Kadenzen, mit denen diese Phase zwischen Jugend und Karriere einzufangen ist – und erzählt in „Carnival Desires“ von der Hollywoodwelt der Drehbuchautoren. Mehr und minder zynisch, ledig, jung, auch sexy, aber ausgebrannt, almost famous. In tragenden Rollen mit coolen Cameos besetzt: willie im Roman ist Robert Downey Jr., seine Freundin Sara Jessica Parker, Jayne ist Molly Ringwald, Lee Chassler der Producer Bob Simonds. Oscar der Regisseur Phil Joanau, Dunphy der Comedy-Autor Peter Farrelly… Lindquists Roman zwischen „Sad Movies“ und „Never Mind Nirvana“ spielt im L.A. nach Bret Easton Ellis‘ „Unter Null“: am Morgen nach der Party. Alle ernüchtert. Hangover. In Tinseltown. Ausgangspunkt ist der Tod eines Freundes (basierend auf dem Selbstmord des Boss-Club-Besitzers David Krask). Außer Celebrity-Spotting bietet Mark Lindquist vor allem coole Action. messerscharfe Dialoge und routiniertes Tempo in immer stilvollem Ton.

Ein echter Geheimtipp unter den Bratpackern (4,0), die vor einigen Jahren euphorisch gefeiert wurden, weil sie mit Pep und cool wie Pop schrieben – die aus exakt deshalb auch wonnevoll in die Pfanne gehauen wurden. Ellis war der mit Abstand erfolgreichste, wurde auch am liebsten niedergemacht, schien die Attacken allerdings auch zu provozieren. Lindquist, einer seiner Snief- und Saufkumpane, schrieb im Stillen drei feine Romane, und Ellis lebte im Rampenlicht, lief Gefahr, bei lebendigem Leib zu verbrennen. Cobain oder TLC? Das Verdikt tendierte weiter auf Jein. Jeder Roman polarisierte genauso wie „Unter Nul“. Inwieweit Ellis mehr Celebrity als Autor ist, mehr Hype als Talent – die Frage hat sich mit „Lunar Park“ (Kiepenheuer & Witsch, Euro 22,90) endgültig erledigt. Der Zickzackkurs zwischen Kunst und Performance zuckt hier durch jeden Absatz. Ellis offenbart sich als Zaubermeister der Verwischungen, raffinierter Vermischungen zwischen Fakt und Fiktion, Horror und Tratsch – und zeigt, dass er souverän über all dem steht. Und schreibt.5,0

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