Print-Pop von Frank Schäfer
„Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman“
(Hanser, 15,90Euro)von Wilhelm Genazino zeigt die „Adenauerzeit“, wie sie wohl tatsächlich war, geschichtsvergessen, italienverliebt, konsumgeil, autoritär, bigott. Und es spielen die Lords! Genazino schafft das nicht zu unterschätzende Kunststück, das alles einzufangen, sogar die Sprache, Gesten und Usancen, es nicht zu denunzieren und trotzdem ein lesbares, ja leichtes, unangestrengtes Stück Literatur abzuliefern. Der 17-jährige Weigand ist gerade vom Gymnasium geflogen, beginnt eine Lehre als kaufmännischer Angestellter bei einer Spedition und dilettiert nach Feierabend ein wenig im Schreiben, hat sogar Erfolg damit Für eine lokale Tageszeitung darf er bald als Aushilfsreporter arbeiten – also von der Rex-Gildo Autogrammstunde berichten, von „je-ka-mi“-Abenden („jeder kann mitmachen“) und vom Rentner, der historische Gebäude mit Streichhölzern nachbaut. Ein Doppelleben, das ihn fasziniert, mit der nötigen Welterfahrung versorgt, ihn selbstbewusster macht, so dass er sich schließlich von der bedrückenden Familie emanzipiert. Während des Betriebsausflugs schläft er mit einer verheirateten Kollegin, womit die erste Forderung des Buchtitels erfüllt wäre. Am Ende sucht er sich eine Wohnung, und der avisierte Roman liegt nun hier vor uns. 3,5
„Augsburger Mottenkiste. Erinnerungen“
(Maro, 3 Euro) von Uli Becker ist ein ebenfalls die Fifties fokussierendes Kondensat seiner einfach wunderbaren, leider nur noch antiquarisch verfügbaren (zvab.com!) Erinnerungen „Alles kurz und klein“. Serielle Sätze sind das, jeder beginnt mit der Phrase „Ich erinnere mich“: „Ich erinnere mich an Damenräder mit der Kimme und Herrenräder mit der Stange. Und wie mir da ein Licht aufging/ Ich erinnere mich, wie Mädchen werfen/ Ich erinnere mich ans Umziehen auf der Wiese, mit dem nassen Badetuch umgeschlagen, was ja für kleine Jungs noch vergleichsweise einfach war.“ So geht es fort und fort. Eine Poesie des Aus- und Weglassens, des gezielten Auslassens, des leisen Antippens. Und darin eben liegt der Witz. Indem man als Leser die semantischen Lücken mit etwas eigener Erfahrung und Phantasie auffüllen muss, wird man hineingezogen, zum poetischen Mittäter, vermischen sich die fremden Erinnerungen mit den eigenen, und so beginnt diese Prosapoesie melancholisch und doch auch witzig, jedenfalls immer unwiderstehlich zu illuminieren. Hier haben wir eins der großen Prosakunstwerke des letzten Jahrhunderts – und dass man es zurzeit nur in dieser kleinen, wenn auch schönen Auswahl kaufen kann, ist ein Skandal. 5,0
„Solipsist“
(mirandA, 15,80Euro) von Henry Rollins ist der vierte und vorerst letzte Band dieser sehr schönen, sorgfältigen (nur eine Interpunktion findet nicht statt!) deutschen Werkausgabe im verdienstvollen mirandA-Verlag, der bereits auch Lydia Lunch hier literarisch einbürgerte. Wie die vorangegangenen Bände bietet er wahllos, strukturlos, wie es eben gerade so kommt und das tut es bei Rollins ja oft – Short Stories, kleine Reflexionen, Glossen, Konfessionen, Alltagsbeobachtungen. Ein Hardcore-Sudelbuch, das keine Mäßigung kennt, aber auch keinerlei Dramaturgie. Rollins gibt die ganze Zeit Vollgas, hasst, wütet, verflucht und liebt gelegentlich auch mal, aber dann natürlich unglücklich. Man kennt diese krude, auf forcierte Drastik setzende Schmerzensmann-Suada allmählich, die so viel Wert legt auf Ehrlichkeit, die aber natürlich auch nichts weiter ist als Pose, wenn auch keine ganz unsympathische. Am besten ist Rollins immer dann, wenn er erzählt und eben nicht nur Ansichten und Meinungen hinausposaunt mit jerichohafter Inbrunst. 3,0
„Ich & Louise“ (Suhrkamp, 22,90 Euro) von Tristan Egolf setzt allzu kalkuliert auf die scheinbar realistische Groteske. Und so muss Egolfs armer Anti-Held Charles Evans, das „Produkt eines schwarzen Gl und (wie es hieß) einer kambodschanischen Prostituierten“, nunmehr arbeitsloser Konzert-Violinist, das Vorprogramm einer Fascho-Metal-Band bestreiten, nur um bald von der Bühne gebuht zu werden, dann in die Kanalisation absteigen zum Rattenjagen, zusammen mit allen Randgruppen dieser Welt in einer miesen Absteige leben, schließlich nach viel Rabatz und endlosen Sauftouren eine wohlhabende Journalistin kennenlernen, ein Fünf-Sterne-Hotel verwüsten, die Dreharbeiten eines verhassten Hollywood-Regisseurs sabotieren und schließlich auch noch einen Banküberfall vorbereiten. Ein bisschen viel das alles. Egolfs Sprache passt dann allerdings ganz gut zu diesem Plot-Gepolter. Seine Sätze sind schnell, oft elliptisch, und er schreibt ein aufgekratztes, artifiziell aufgehübschtes Kraftmeier-Idiom, das dem Übersetzer Frank Heibert sehr viel mehr zu liegen scheint als neulich noch der abgeklärte Bürokratismus Richard Fords. 2,0