R.E.M. – Live At The Olympia
„This is not a show!“ Die Ansage steht am Beginn dieser Aufzeichnung wie eine Warnung. Aber wann wäre bei R.E.M. je etwas Show gewesen? Die fünf Auftritte im Olympia zu Dublin waren allerdings tatsächlich keine gewöhnlichen Konzerte, sondern eine Art Probe. 2007 schlug sich das Trio noch mit den neuen Songs herum, die dann zum Album „Accelerate“ (2008) werden sollten. Man war sich nicht ganz sicher, wo man hin wollte und wie weit gehen, also wurden die Stücke live getestet – vor einem weitgehend gnädigen Publikum: An die wenigen Karten für das kleine Theater kamen vor allem Freunde und Fanclub-Mitglieder.
Als Starter ist das krachende „Living Weil Is The Best Revenge“ natürlich gleich ein Treffer, dann folgen auch ältere Stücke, nicht unbedingt sehr bekannte. Das war ja das Besondere dieser Nicht-Shows: Auf die obligatorischen Hits von „Losing My Religion“ bis „Man On the Moon“ verzichten Peter Bück, Mike Mills und Michael Stipe, die auch hier wieder von Scott McCaughey und Bill Rieflin unterstützt werden. Stattdessen kommt vor allem das Frühwerk zu Ehren – in Form von Stücken, die man auf den vergangenen Tourneen nicht so oft gehört hatte: „Wolves Lower“ und „Letter Never Sent“ erinnern an selige Zeiten, als Athens noch der Lebensmittelpunkt der Band war, „,Cuyahoga“ evoziert das langsame Ende der Unschuld. Selbst Hardcore-Fans mussten später zugeben, dass sie das schlingende „West Of The Fields“ nicht sofort erkannten. Nichts war absehbar an diesen Abenden, nichts genau durchdacht. Das machte den Zauber aus.
Besonders beachtenswert sind zwei damals neue Lieder, die es schließlich nicht auf „Accelerate“ geschafft haben. Unverständlich, denn das furiose „Staring Down The Barrel Of The Middle Distance“ hätte perfekt zu dem Kurz-schnell-heftig-Ansatz gepasst allemal besser als das eher mediokre „Mr. Richards“. Und „On The Fly“ geht zwar noch nicht richtig los, berührt aber dank Stipes trotziger Lyrik. Die spätere Single „Supernatural Superserious“ läuft hier noch unter dem Titel „Disguised“, und das Tempo schwankt ein wenig, aber solche kleinen Makel sind charmant, nicht störend. „Okay, back to the difficult new material!“, seufzt Stipe vor „Houston“. Keine Koketterie diesmal, es gibt allerdings eigentlich auch keinen Grund zur Sorge: Der vielleicht beste „Accelerate“-Song ist auch in der brummenden Live-Version bewegend.
An den vielen Ansagen des Sängers lässt sich die gute Stimmung in der Band auch jetzt noch nachvollziehen, zum Glück wurde nur wenig herausgeschnitten (auch nicht das kleine Lachen während „Romance“, als ihm wohl auffiel, wie absurd der Text ist). Das „grand experiment“, wie Stipe die öffentlichen Proben nennt, funktioniert, weil die Band irgendwann loslässt und ihre Anspannung abfällt, während das Publikum auch die neuen, natürlich noch unbekannten Stücke frenetisch feiert. Falls R.E.M. es nötig hatten, sich ein bisschen Bestätigung zu holen, hier bekommen sie die eindeutige Ansage: Macht, was Ihr wollt! Ein paar Volten und Veränderungen sind immer erlaubt bei dieser Band, die sich seit fast 30 Jahren in regelmäßigen Abständen häutet.
Die Bonus-DVD zum Doppelalbum heißt konsequenterweise „This Is Not A Show“, aber etwas mehr Show hätte es da doch sein dürfen: In verwackelten Schwarz-Weiß-Bildern hat Vincent Moon zwar einige nette Bühnen- und Backstage-Momente eingefangen, lieber hätte man allerdings konkretere Aufnahmen von Proben oder Gigs gesehen. Der Unmittelbarkeit und Schlichtheit, mit der R.E.M. sich in Dublin ins Zeug warfen, wird das konfuse „Kunstwerk“ nicht gerecht, und am Ende ist einem ganz schummrig. Das einzige kleine Manko in diesem Paket.