Rammstein :: Reise, Reise
Nichts Neues: Rammstein bleiben schlecht und eine geniale Marketingidee.
Deutsche Werber sind weltweit auf dem Vormarsch, und Rammstein immer noch keine indiskutable Prollcombo, die ohne das dritte Reich nie Erfolg gehabt hätte. Rammstein sind wichtig, wertig, wunderbar. Schockkonzept, Primatenriffs sowie eine beispiellose Flucht nach vorn suggerieren jetzt schon zum vierten Mal: Kultur! Und Achtung: Sie haben sich eine Auszeit genommen; jene Auszeit, die jede große Band einfach mal braucht, um zu reflektieren, sich zu sammeln, neue kreative Horizonte zu erschließen. Nur so waren weitere Welt-umarmende, kilometertiefe Momente wie „Ich hätte Lust zu onanieren“ („Keine Lust“) überhaupt möglich!
Elf neue Viervierteltakte gibt es insgesamt, elf beim ersten Hören schon mitsingbare musikalische Armutszeugnisse namens „Dalai Lama“, „Morgenstern“ oder „Amore“ – das klingt so wichtig, so konsequent, so diszipliniert, da denken die Leute im Ausland gleich: „Ja, so sind sie, die Deutschen.“ Und hey: Warum so ernst? Vielleicht haben Rammstein einfach den Humor, den Englischsprachige bei uns immer so vermissen – jene, die diese bodenlos schlechten Texte nicht verstehen müssen. Zwischen Raststättenerotik und Wehrpflichtromantik wird es diesmal aber auch richtig lauschig. Als Kolbenschneider Till Lindemann nämlich in „Ohne Dich“ mal kurzweilig die Eier abschwellen, schaut er sehnsüchtig wie ein Schlachter beim Hacken von Rinderhälften gen Himmel und haucht: „Ich werde in die Tannen gehen.“ Tragisch. Und niedlich: Beim Funkrock-Versuch „Los“ klebte man mal eben eine völlig blutleere Akustikgitarre über den stoischen Beat von Schlagzeugvirtuose Christoph Schneider, dem einzigen mit weniger Abwechslung im Spiel als Lars Ulrich in den Neunzigern. Das Ergebnis groovt wie ein Besuch auf dem Amt und verdeutlicht zum wiederholten Male: Man kann Rammstein nicht mehr verarschen. Das machen die am besten einfach selbst. Ein Stück deutsche Realsatire.