RAY DAVIES – The Storyteller :: EMI
Ein storyteller war Ray Davies schon immer. Mit den Kinks nahm er eine Arbeit auf sich, die im England der 60er Jahre sonst niemand machen wollte: Nicht nur über sich selbst zu reden, sondern auch sozial genaue Beobachtungen zu machen. So wurde Davies zu dem, was man einen „Chronisten“ nennt: Er schrieb die Geschichtedi) des britischen Kleinbürgertums und der Arbeiterklasse auf. Und weil man eigentlich zu allen Zeiten lieber Songs über Sex und Drogen hörte ab über deprimierende Sonntagnachmittage, wirkten die Kinks auch immer ein bißchen unhip. Und die Leute, über die sie sangen, hörten sowieso andere Musik.
Nun sind die Fragen nach Hipness sowieso erledigt, und Ray Davies ist schon länger soweit, daß er sich Gedanken über sein Spätwerk machen sollte. Und „The Storyteller“, ein weitgehend live aufgenommenes, akustisches Solo-Album mit gesprochenen Zwischentexten und kleinen Gag-Einlagen, ist so sehr ein Alterswerk, eine Bilanz, eine Autobiographie, daß man sich schon fragt, ob danach noch etwas kommen kann. Ohne die Kinks im Rücken, tritt das Erzählungshafte noch deutlicher heraus.
Davies singt hauptsächlich alte Kinks-Songs – daran fädelt er kleine und große Storys auf. Er spannt den großen Bogen der Historie von Königin Victoria bis zu Margret Thatcher: Der beginnt logischerweise mit „Victoria“ und endet bei den Zeitkommentaren, die Kinks-Songs auch immer waren. In seinen Songs läßt er die verschiedenen Sozialcharaktere Revue passieren. Ray Davies erwähnt einmal Charles Dickens – und er scheint tatsächlich dessen sozialmikroskopische Perspektive übernommen zu haben.
Zusätzlich ist „The Storyteller“ aber auch eine Chronik des eigenen Lebens und der Karriere der Kinks: Davies gibt Anekdoten aus seiner Autobiographie „X-Ray“ zum besten und erzählt zum Beispiel von jenem magischen Moment, als sein Bruder Dave zum ersten Mal seine E-Gitarre einstöpselte. Und wie der Vater gegen den Lärm protestierte. Alles unterhaltsam erzählt und in mildes Licht getaucht. Ja, Kinder, so war das damals.
Ray Davies ist nicht länger involviert. Er schaut zurück. Aber niemals im Zorn.