Replays 2 von Bernd Matheja
Wer beim Anhören der folgenden Scheibe mal kurz innehält, spürt Vibrationen: Lennon gibt unterirdisch die „Biellmann-Pirouette“. Bereits zu Vinyl-Zehen galt eine bestimme Doppel-LP als gurgelnde Schande im Zusammenhang mit den BEATLES: „Live! At The Star-Club in Hamburg, Germany, 1962“ hieß die Schrulle „mit 26 historischen Aufnahmen“, d. h. durch die Scheißhauswand mitgeschnittenem Trümmer-Beat. Jetzt liegt das Machwerk als CD vor (mcps LING 96). 60:01 Minuten, gestreckt auf zwei (!) Discs. Eine angemessene Sternchen-Wertung dafür müßte erst noch erfunden werden etwa „minus 56 auf der nach unten offenen Vernichter-Skala“.
Zur Beruhigung bietet sich danach BILLY VAUGHN an: „The Best Of…“ (Repertoire REP 6430) ist Leidhtgewichts-Balsam. Nicht etwa, weil Easy Listening angeblich angesagt ist. Egal nämlich, ob man den 1991 im Alter von 72 Jahren verstorbenen Orchesterchef aus Kentucky mag oder nicht – er kreierte einen unverwechselbaren Sound; etwas, wonach sich 1000 andere noch heute vergeblich abstrampeln. Gegen einen Flächenbrand namens Rock’n‘ Roll konnte Vaughn mit Tonnen von Hits noch relativ mühelos ansaxen, erst der Beat-Boom legte ihn karriertechnisch flach. Diese Doppel-CD (ein randvolles Einzelstück hätt’s vielleicht auch getan) bietet schadstoffarme Zwischendurch-Musik, mit Ohrwürmern wie „A Swinging Safari“, „Wheels“, „Raunchy“ oder „Eine Nacht in Monte Carlo“ (geiel!). Sympathische 3,0 für den Kaiser der heimeligen Säftel-Geigen.
Soundtracks heute, das sind (zumal in der Liga der Abkassierer) meist leblose Aneinanderreihungen von Reißbrett-Hits oder solchen, die es werden sollen. Nicht, daß früher alles besser war. Aber oft war’s einfach wohltuend anders. Zum Beispiel bei „Girl On A Motorcycle“ von 1968 (Regie: Jack Cardiff), dem Kult-Streifen mit Marianne Faithfull und Alain Delon. LES REED hat den Soundtrack (RPM 171) komponiert und arrangiert – als Letzteres noch erforderlich war, um ein klingendes Ganzes passend mit dem Film zu verknüpfen. Drei der Instrumental-Tracks (was bis jetzt kaum bekannt war) ließ Reed nachträglich mit Texten versehen und von Cleo Lain bzw. Mireille Mathieu besingen; sie sind als rare Extratitel dem Soundtrack beigefügt Exzellenter Spätsechziger-Kino-Sound, vorbildliches CD-Packaging (Fotos, Texte, Plakatabbildungen). 3,5 , und das mit Sicherheit nicht (nur), weil die drei Miet-Gitarristen Jimmy Page, Big Jim Sullivan und Vic Flick hießen.
Mit dem Untergang des Immediate-Labels begann für CHRIS FARLOWE anno 1969 die stilistische Wanderschaft. Bevor er sich bei Atomic Rooster und Colosseutn verdingte, jobbte er für The Hill. Mit Steve Hammond (g), Bruce Waddell (b), Peter Robinson (kb) und Colin Davy (dr) spielte er das One-off-AIbum „iwm Here To Mama Rosa“ (Out Of Time Records CDEC 6) ein. Leicht psychedelischer Sound, gemixt mit britischem Progressive Rock, so lautete die Marschrichtung. Sie ließ dem soulvollen R&B-Schwitzer vergangener Jahre kaum noch Raum, gab Farlowe aber die Gelegenheit, seine stets hart an der Grenze balancierten Stimmband-Kunststücke vorzuführen. Songs wie „Black Sheep Of The Family“ (für Chris „Faamaalaaa“), „Winter Of My Life“ und „Head In The Clouds“ gehören zweifellos zu Farlowes besten Arbeitsproben. Als Bonus wurde der Single-Titel „Put Out the Light“ dazugegeben. Fazit: 4,0 und die Hoffnung, daß bald auch die 1975er „Live“-LP umgehoben und endlich ein Karriere-Querschnitt angepackt wird.
Vorletzte Runde in Sachen STONE THE CROWS. Bevor im späteren Frühjahr die beiden Solo-Scheiben von Sängerin Maggie Bell erscheinen werden, schiebt Repertoire „Stone The Crows“ (REP
4626, 4,0 ) und „Ontinuous
Performance“ WEP 4627, 3,5 ) raus, den Erstling von 1969 und den Abgesang aus dem Jahr 1972. Beides starke Beispiele für schottischen Bluesrock, und doch mit graduellen Unterschieden. Mit dem Bassisten Jim Dewar (anfangs dabei) besaß die Band einen vorzüglichen Co-Sänger, mit John McGinnis (der später ebenfalls ausschied) einen Tastenmann, der die schwere Holzorgel leichter Synthetik und dem Piano vorzog, die sein Nachfolger Ronnie Leahy favorisierte. Exzellent und staubtrocken blieb das Material dennoch. „Fool On The Hill“, „Blind Man“ und „Penicillin Blues“ kocht Maggie noch eine Stufe höher als den reinfallsfreien Rest. Die insgesamt vier STC-Werke gehören als Einheit zum Vorteilhaftesten der britischen Frühsiebziger. Vorfreude auf Mrs. Beils Alleingänge „Queen Of The Night“ und „Suicide Sal“ ist schonmal gestattet.
Leckerbissen für Zwölftakt-Fans:
„The Original Lost Elektra Sessions“ der alten PAUL BUTTERFIELD BLUES BAND (Elektra 0349 -73505). Paul Rothchild hat 1964 produziert, Sohn Dan die 19 Tracks vorzüglich gemischt und Joe Gastwirt exzellent gemastert – Klang auf Hochniveau. Mit den Top-Gitarristen Mike Bloomfield und Elvin Bishop sowie Mark Naftalin (o), Sam Lay (dr) undjerome Arnold (b) standen dem Harmonika-Heuler in Bestform ausnahmslos Asse zur Seite. Chicago-Blues aus der makellosen Abteilung – von „Help Me“ über „Rock Me“ bis „Spoonful“. Top, 4,0.
GRATEFUL DEAD und kein Ende: „Dozin’At The Knick“ (Grateful Dead GDCD 3 4024) ist eine weitere Ausgrabung der „From The Vault“-Reihe, drei CDs mit einer (wen wundert’s?) Laufzeit von knapp 200 Minuten. Die Aufnahmen stammen vom März 1990/Albany, New York, und bieten neben klassischem Material fünf Live-Premieren. Wie fast immer: unangestrengter Dead-Sound, der stundenlangweiterlaufen könnte. 3,0