Replays2 :: VON BERND MATHEJA

Als in England 1963/64 alle Dämme brachen, gab es für viele Bands auf eigener Scholle kaum noch Jobs. Der einzige hoffnungmachende Ausweg war die „4-H-Tour“: Harwich-Hoek van Holland – Hamburg. So fanden u. a. Jimmy 8C The Rackets, Ian 8C The Zodiacs und die Liverbirds Lohn und Brot, die in England nahezu unbekannt blieben, bei uns aber bestens ins Geschäft kamen. Auch CASEY JONES & THE GOVERNORS (vormals „& The Engineers“) aus Liverpool griffen gut Deutschmark ab, kamen sogar mit immerhin sechs Titeln in die hiesigen Top 40. Über 30 Jahre nach ihrer Erfolgssträhne liegt jetzt erstmals das Gesamtwerk der Combo auf zwei Einzel-CDs vor: „Don ‚t Ha Ha“ (Repertoire REP 4674) und „Casey Jones & The Govenors“ (REP 4675). Die beiden Original-LPs von 1964/65 wurden um sage und schreibe 31(!) Bonus-Titel aufgestockt (inklusive Alternativ-Versionen). Erfaßt wurde das komplette „Golden 12“-Material plus drei Endsechziger-Singles (A&B). Die große musikalische Sensation waren Casey & Co. nie, ihr bodenständiger Mix aus Beat, Rock’n’Roll und R&B-Standards tat aber auch niemandem weh. Fünf der sechs Hits sowie die schöne Ballade „So Long, Baby“ und das deutsch gesungene „Bumble Bee“ sind auf REP 4674 enthalten. 2,0

Wenn Genius ursächlich mit Gag korrespondiert, dann ist bei ROKY ERICKSON alles richtig gelaufen. 1980 kehrte der ehemalige Chef der 13th Floor Elevators („You’re Gonna Miss Me“) mit seinen Aliens und der CBS-LP „Think Of Demons“ (heute auf Edsel EDCD 528) auf die Szene zurück. Knapp drei Jahre hatte Roky in der Klapse zugebracht. Ob er dabei repariert oder erst verkorkst wurde müßig, darüber zu räsonieren. Sein damaliges 10-Track-Comeback (jetzt ergänzt um das fabelhafte „Bloody Hammer“ und „The Wind And More“) war und ist ein hypnotisches 5,0-Monster, das (auch nicht gerade alltäglich) vom Creedence Clearwater-Drummer Stu Cook produziert wurde. Rokys Visionen fanden Niederschlag in Titeln wie „I Walked With A Zombie“ (stimmlich Jagger ähnlicher als der sich selbst), „I Think Of Demons“, „Don’t Shake Me Lucifer“, „Creature With The Atom Brain“, „Stand For The Fire Demon“ und „Night Of The Vampire“ – der komplette Teller eine traumatische Ro(c)ky Horror Picture Show, stilistisch immer wieder seelenverwandt mit den Stones. Ericksons fiebrig-aggressive Stimme, die rotzig-klirrenden Gitarren (Duane Aslaksen) und grandiose Autoharp-Attaken von Bill Miller ziehen den Hörer in ihren Bann. An Rokys wirren Phantasien hätten Mulder 8C Scully gesteigerte Freude, sie verdienen einen Extra-Ordner nicht in den X-, sondern in den XXL-Files.

Als MAGGIE BELL sich nach vier Klasse-Scheiben von Stone The Crows verabschiedete, schwebte schon das Damokles-Schwert über ihrer weiteren Karriere. Und richtig: Ihr erging es als Solistin nicht viel besser als diversen Top-Sängern, die mit ihren Alleingängen gescheitert waren bzw. denen der popularitätstechnische Absturz erst noch bevorstand: Mike Harrison (Spooky Tooth), Chris Youlden (Savoy Brown), Kieran White (Steamhammer), David Clayton-Thomas (Blood, Sweat & Tears), um nur einige zu nennen. Sie alle fertigten weiterhin gute Arbeit, liefern aber dennoch während der großen Ebbe bis ca. 1975 auf Grund. „Queen Of The Night“ (Repertoire REP 4661) und vor allem „Suicide Sal“ (REP 4663), das gleich vorweg, sind ausgezeichnete Alben der Schottin, die sich an erprobtes Material heranwagte, um ihm die ganz persönliche Maggie-Würze zu verpassen. Zu Highlights gerieten dabei „After Midnight“ CJJ. Cale), „I Was In Chains“ (Sutherland Brothers), Lennon/McCartneys „I Saw Him Standing There“ sowie die Free-Klassiker „Wishing Well“ und „Hold On“. Mal knorriger, mal gefühlsintensiver Blues-Rock britischen Zuschnitts, an beiden Scheiben mit 4,0 angemessen bewertet.

Eine der obskursten Veranstaltungen der 70er Jahre ist „Standing Stone“, das irre Werk eines unbekannten Walisers namens OLIVER CHAPLIN (Wooden Hill, WHCD 001; über Milestone, Hamburg, Tel. 040/552468). Seine einzige Wohnzimmer-LP von 1974 wurde von seinem Bruder Chris, einem BBC-Tontechniker, aufgepeppt. Das verblüffende Teil gab’s früher (zu horrenden Preisen) nur in ein paar hundert Exemplaren, der Macher tauchte sofort wieder ab, verweigerte sich der Industrie. „Standing Stone“ ist (vorstellbar oder nicht) eine unglaublich schlüssige Verquirlung von Captain Beefheart, Tir Na Nog und Robert Johnson. Berge akustischer und stechender elektrischer Gitarren, einige wenige (und darum so effektive) Spielereien, Gesang das ist alles. Und trotzdem hat diese Melange eine geradezu magnetisierende Wirkung mit Folk-, Bluesund psychedelischen Eigenschaften. Ein echter Glücksfall von einer Scheibe, die für 4,0 durchgeht.

Einer der populärsten UK-Filme der Blümchen-Zeit war „Here We Go Round The Mulberry Bush“ (1968) – heute indes ist der Soundtrack bekannter, nicht zuletzt dank der verpflichteten Musiker. Acht Tracks steuerte die Spencer Davis Group (zweites Line-up, ein Titel aber noch in Urbesetzung!) bei, drei kamen von Traffic, einer von Andy Ellison (Ex-John’s Children). Für die CD (RPM 179) wurden zusätzlich vier Alternativ-Takes der SDG entstaubt. Alles zusammen Light-Psychedelia, Flower Power, Swinging London nach Noten. kkk für unverbindliche Modemusik aus einer heute oft belächelten Bonsai-Ära, die aber yours truly war Wochen und Monate vor Ort – tatsächlich ein seltsames, nicht reproduzierbares Flair absonderte. Nett, das. Die Abgründe von Michelangelo Antonionis London-Film „Blow Up“, auch zu der Zeit entstanden, sind hier nicht einmal zu ahnen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates