Sensibel sind wir alle :: Ulla Meinecke-An!

Die Tänzerin tanzt nicht gern. Wenn sie Widerstand spürt, wird Ulla Meinecke ungnädig. Vor vielen Jahren arbeitete sie im Büro von Udo Lindenberg und fiel mit zuweilen harschem Verhalten auf. „Damals waren die Strukturen in der Branche noch ganz anders“, sagt sie heute. „Udo ist auch eine Ausnahme im Geschäft: Er kontrolliert fast alles selbst.“ Daß der mittlerweile meist zerstreut und desinteressiert auftretende Lindenberg nur noch die müde Routine unter Kontrolle hat, daß Kontrolle mit Kunst nicht viel zu tun hat – das kann man Ulla Meinecke sagen, aber es läuft ihrer professionellen Einschätzung des Gewerbes entgegen. Und es rührt Dinge an, die sie in der Vergangenheit begraben wähnt.

Ulla Meinecke muß an die Gegenwart denken. Ein neues Album ist auf dem Markt, das knallig „An!“ heißt und damit dem Zwang zur reklameartigen Verkürzung nachgibt. Es ist mal wieder eine Art von Comeback, nachdem sich die Meinecke in Experimenten verzettelt, von Musikern getrennt und die Plattenfirma gewechselt hat. Nun treffen sich die Oberen zur Besprechung von Strategien. Die Litfaßsäulen immerhin sind schon vollplakatiert. „So soll es sein“, sagt Meinecke entschlossen. „Ich möchte dem Wort Veröffentlichung einen Sinn geben. Ich möchte, daß die Leute sagen: ,Ah, das ist die neue Platte, die gefallt mir‘ oder ,Das gefallt mir nicht‘. Aber so weit möchte ich es treiben.“

Da weiß sie genau, was sie tut und weshalb. Als Autorin ist sie auf Musiker und Komponisten angewiesen, die mit ihr korrespondieren können. „Ich habe für dieses Album alles geändert, das gesamte Umfeld. Nur mit Rio (Reiser) habe ich vorher schon gearbeitet. Füher hatte ich Bläser, heute Gitarren.“ Den Produzenten Uwe Hoffmann fand sie ganz in ihrer Nähe – er arbeitet auch in Berlin und gilt als Spezialist für „harte Sachen“. In Ulla Meineckes Ohren klingt „An!“ wie Rockmusik, und gemessen an der „Tänzerin“ und den frühen Alben mag das richtig sein. Rock ist es trotzdem nicht. „Good girls go to heaven, bad girls go everywhere“, dröhnt der T-Shirt-Slogan auf dem Cover. Dabei ist die Meinecke doch gar kein Mädchen mehr und benimmt sich auch nicht so. Ihre Texte empfindet sie als „persönlicher“und ,“tiefer“ denn je. Zur Klausur nimmt sie sich viel Zeit und Ruhe, was den Songs anzumerken ist. Die „Ironie“, von der offiziell berichtet wird, bleibt freilich bemüht und verkrampft, denn zum Humor fehlt Ulla Meinecke die Leichtigkeit. Fast verbissen klammert sie sich an Details: Demos etwa seien „spröde Ein-Instrument-Teile, da sehe ich sehr schnell, was ist“.

Über sich selbst sagt sie: „Ich lebe ja sehr extrem. Mein Gott, wie viele Leute machen das in diesem Land!“ Die Ausnahme-Existenz ist ihr nicht unangenehm. Andererseits: „Sensibel sind wir doch alle! jedenfalls die allermeisten. Und als starke Frau gilt man doch schon, wenn man nicht den ganzen Tag in der Küche steht.“ Das Songschreiben bereitet ihr Lust; Schreibkrampf kennt sie nicht. “ Es ist entweder ein sehr starker Drang zum Ausdruck oder eine sehr starke Frage.“

Doch die Lieder über Obsessionen und Abschied formulieren keine Fragen, die andere nicht schon beantwortet haben. Ulla Meinecke rennt offene Türen ein.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates