
Drehbuchautorin/ Showrunnerin/Produzentin Anna Winger hat ein feines Gespür dafür, wie mit einer historischen Geschichte eine Lehre für die Gegenwart verkauft werden kann – sinnstiftend und unterhaltsam zugleich. Nach Deborah Feldmans „Unorthodox“ hat sie nun „The Flight Portfolio“ von Julie Orringer verfilmt. Der Teil von „Transatlantic“, der vom Emergency Rescue Committee erzählt, das 1940/41 in Marseille mehr als 2000 Menschen bei der Flucht vor den Nationalsozialisten half, berührt einen zutiefst – gerade weil nicht zu viel Pathos eingesetzt wird. Die Strippenzieher, Journalist Varian Fry (großartig: Cory Michael Smith) und Millionärstochter Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs), bringen sich ohne eigene Not in Gefahr, um andere zu retten – sie können das Unrecht einfach nicht aushalten. Es geht auch um den Wert von Kunst und Intellekt, denn unter den Verfolgten sind Leute wie Hannah Arendt und Golo Mann, Marc Chagall und Max Ernst. Moritz Bleibtreu spielt Walter Benjamin, der kurz vor dem Grenzübergang den Horror und die Angst nicht mehr erträgt.
Neben diesen realen Schicksalen und dem tatsächlichen Grauen braucht so ein Siebenteiler auf Netflix unbedingt etwas Lebensfreude, dachten die Verantwortlichen wohl – und dadurch fällt die Serie etwas auseinander. Die Partys, die in der Villa voller fluchtbereiter Künstler:innen fröhlich gefeiert werden, sehen zwar schick aus, und natürlich fühlt man mit dem Mann, der sich zwischen Geliebtem und Ehefrau entscheiden muss, aber inmitten des Zweiten Weltkriegs wirkt der Fokus auf dieser Feierei und die Liebesgeschichten leicht bizarr. So lässt einen „Transatlantic“ etwas unsicher zurück – und doch mit der entscheidenden Erkenntnis, dass Mut und Menschlichkeit sich immer lohnen, egal wie hoffnungslos die Lage zu sein scheint. Wer noch mehr Optimismus aufsaugen möchte, googelt die Hauptpersonen: Fast alle wurden sehr alt und haben – ob in Amerika oder zurück in Europa – noch etliche Jahrzehnte Gutes vollbracht. (Netflix)
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