Shakespeares Hühner :: von Ralf Rothmann
Der Titel dieses Erzählbandes ist ein sinnreicher Verleser einer Protagonistin, der die acht Geschichten leitmotivisch verklammert. Friederike spielt die Desdemona in der Theatergruppe und bereitet sich mit älteren Shakespeare-Exegesen auf ihre Rolle vor. Sie liest zunächst immer „Hühner“ für „Hünen“, erkennt dann aber die poetische „Logik“ des Irrtums, „denn angesichts der Sorgen und Nöte seiner Gestalten, die ihre finsteren Schicksale wie riesige Kreuze mit sich herumschleppen, sind wir eigentlich nur Hühner, oder?“
Das gilt für alle der hier auftretenden Erdenklöße, die unheldischer kaum sein könnten. Und trotzdem sind sie tragikfähig und absolut würdig, dass Rothmann, dieser große deutsche Alltagschronist, sie beim Durchleben ihrer profanen Passionsgeschichten begleitet. Ein Ex-Knasti und Mann fürs Grobe in der Pathologie entdeckt mithilfe eines naseweisen Kindes die Poesie und eine passende Buchhändlerin; ein präpotenter Ruhrpott-Teenager will endlich wissen, wie man das macht, aber die konsultierte Dorfhure west bereits eine Weile; ein arbeitsloser Fliesenleger ist wieder nur zweite Wahl, während sein Kumpel sich mit der schöneren, willigeren Freundin die Zeit vertreiben darf, aber auch das hat dann am Ende seine poetische „Logik“.
Die Hühner in diesen Geschichten materialisieren sich nicht immer so unweigerlich und unmissverständlich wie die Hähne. „Die Stirn war hoch und der Blick etwas unstet, aber klug.“ Spricht so eine Abiturientin? Das ist auch der einzige Makel dieser lakonischen, aber nicht wortkargen, zurückhaltend bebilderten, aber nicht metaphernlosen, nicht zuletzt erzählökonomisch beeindruckenden Prosa. Man weiß sich stets in der untrügerischen Sicherheit, genau so viele Worte zu lesen zu bekommen, wie sie die einzelnen Stories benötigen. (Suhrkamp, 19,95 Euro) Frank Schäfer