Shelby Lynne – Identity Crisis

Es gibt noch Dankbarkeit im Showbusiness. „My thanks to everybody at Capitol Records. I appreciate all of you taking a chance in such a personal record.“ Warum sollten sie auch nicht? Voyeurismus ist bei Shelby Lynne naturgemäß prickelnder als etwa die Beschäftigung mit Texten, die vom kulturellen Verfall der USA handeln oder von Hummerfischern in Maine. Andererseits ist Nabelschau die einfachere Aufgabe für die Lynne. “ I can’t be here anymore, just want it to be over.“ — My old friend buried his mama today.“ – „My thoughts are a little cloudy.“ So beginnen die ersten drei Songs. Diese Frau knuddelte auf offener Bühne mit Willie Nelson!

Zwar bedeutet es, mit der Tür ins Haus zu fallen, wenn man eine Platte „Identity Crisis“ nennt, und außerdem Koketterie, wenn man dazu dreinblickt wie Shelby Lynne auf dem Cover. Soviel Krise möchten wir auch einmal haben. Aber Lynne gibt weder die unverbesserliche Kratzbürste vom Schlag Lucinda Williams, noch das samtpfötige Kätzchen wie Norah Jones. In ihren Roots-Songs erscheint sie als so sensibel, melancholisch, derb, trotzig, versonnen, optimistisch, melancholisch, verzweifelt, unbeugsam, geläutert, kämpferisch, provokant, zart, hart und verbittert, dass Jörg Feyer seine ganze Music City USA dafür geben würde. Wie bei Ryan Adams führt all der Seelenmüll und Liebesknatsch direkt zu berückenden Balladen wie „I Don’t Think So“, in denen auf der Türschwelle reiner Tisch gemacht wird, zu handelsüblichem Blues und rustikalem Country-Songwriting, alles edel und subtil instrumentiert.

Doch am allerbesten ist die Lynne als belegte Jazz-Chanteuse im Stil der jungen Rickie Lee Jones, zu akustischer Gitarre und Streicher-Arrangement: „But this time, I will stay… Hummmmm…“ Danach schmalzt sie „Lonesome“ so grell und vollbusig wie eine dieser stahlharten Nashville-Magnolien vor schluchzender Pedal Steel: „My heart breaks at knowing you’re not here/ My tears are never drying.“

Capitol Records wird viel Freude mit Shelby Lynne haben. Fast zu gut.